Mein Freund, der Mörder Kommissar Morry
durchdringen.
„Hallo!“ rief sie leise. „Wo bist du, Ray?“
Von irgendwoher erfolgte eine gedämpfte Antwort. Sie rannte sofort darauf zu.
Dann stand sie plötzlich einem plumpen, unbeweglichen Schatten gegenüber. Ihr Schritt stockte. Ihr Gesicht verfärbte sich.
„Mein Gott“, stammelte sie entsetzt und verkrampfte die Hände vor der Brust.
Sie sah die auf sie gerichtete Pistole. Mit einem schrillen Aufschrei wandte sie sich ab und versuchte, auf das Schiff zurück zu fliehen.
Doch sie kam nicht weit. Der Tod war rascher als sie. Ein tückischer Schuß aus einer Pistole genügte, um ihre Hoffnungen und Träume für immer zu zerstören. Sie stürzte hart auf das schmutzige Pflaster. Ihre Sinne schwanden. Ein bitterer Zug grub sich um ihren Mund, ein letztes Stöhnen rang sich von ihren Lippen. Dann trat sie den dunklen Weg an, der ins Unbekannte führt. Sie machte eine ganz andere Reise, als sie sich erhofft hatte.
12
Mara Revell war gerade damit beschäftigt, ihre Schlafkammer im Schleusenhaus in Ordnung zu bringen, als die rostige Klingel zu bimmeln begann. Was ist denn, dachte sie beunruhigt. Ray hat doch Schlüssel dabei. Wer will uns denn um diese Abendstunde hier besuchen? Sam Lupin etwa? Oder einer von den Gelben?
Sie stieg beklommen die Treppe hinunter und öffnete die Tür. Erstaunt blinzelte sie in die Abenddämmerung. Eine junge Dame stand vor ihr, schlank, hochgewachsen und elegant gekleidet. Das blonde Haar leuchtete wie ein heller Farbfleck durch das Dämmerdunkel. Ein feiner Parfümduft strömte durch die offene Tür.
„Darf ich eintreten?“ fragte die Dame.
Mara Revell gab nur widerwillig den Weg frei. Ihr Gesicht wurde herb und verschlossen. Zaudernd geleitete sie ihren Besuch nach oben. Sie schämte sich wegen des primitiven Wohnzimmers. Verlegen räumte sie den Tisch ab und stellte zwei Stühle bereit.
„Was wünschen Sie?“ erkundigte sie sich dann.
„Ich heiße Ruth Levan“, sagte die blonde Dame lächelnd. „Sicher kennen Sie meinen Namen aus der Zeitung. Mein Vater ist der bekannte Asienforscher...“
„Das alles interessiert mich nicht“, erwiderte Mara Revell frostig. „Was führt Sie zu mir? Machen Sie es bitte kurz!“
„Ich möchte Ray Mortimer sprechen“, erklärte das schöne Mädchen lebhaft. „Rufen Sie ihn bitte!“ „Wie kann ich ihn rufen, wenn er nicht hier ist“, zischte Mara Revell erbost. Was wollen Sie überhaupt von ihm?“
„Wir werden zusammen ausgehen“, erwiderte Ruth Levan eifrig. „Wir sind für heute Abend verabredet.“
„So!“ brauste Mara Revell zornig auf. „Verabredet? Daß ich nicht lache! Bringen Sie sonst keinen Liebhaber auf die Beine? Müssen Sie sich ausgerechnet hier im Schleusenhaus einen Kavalier suchen? Noch dazu einen Mann, der bereits in festen Händen ist.“
„Wie meinen Sie das?“ fragte Ruth Levan befremdet.
„Ich betrachte mich als die Braut Ray Mortimers“, sagte Mara Revell nicht ohne Stolz. „Wir sind zwar noch nicht offiziell verlobt, aber er wird mich sicher heiraten. Er kann ja gar nicht anders. Ich habe alles für ihn getan.“
„So?“ lächelte Ruth Levan mitleidig. „Sind Sie davon so felsenfest überzeugt? Mir gegenüber hat er nie ein Wort davon erwähnt, daß er eine Braut besitzt. Sie wollen ihn buchstäblich in Ketten legen, wie? Lassen Sie ihn doch gehen, wohin er will.“
„Das kann er!“
„Na gut. Dann sagen Sie ihm, daß ich ihn im Cafe Bristol erwarte. Er wird sicher sofort kommen.“
„Einen Dreck wird er“, schrie Mara Revell aufgebracht. Der ordinäre Tonfall tat ihr schon im nächsten Moment leid. Wenn man sie reizte, fiel sie immer in ihre frühere Sprache zurück. Und dabei hatte sie sich doch geschworen, Ray Mortimer zuliebe auf alle Kraftausdrücke zu verzichten. Sie hätte noch eine ganze Menge bester Schimpfworte auf Lager gehabt, aber sie beherrschte sich jetzt.
„Verschwinden Sie“, forderte sie nur hoheitsvoll. „Lassen Sie sich nie mehr hier blicken! Sollten Sie doch noch einmal kommen, so bringen Sie gleich Verbandszeug mit.“
Ruth Levan verschwendete kein Wort mehr an sie. Sie rauschte von dannen, als schritte sie die Treppe eines Ballsaals hinab. Kurz nachher brummte der Motor ihres Wagens auf, den sie am Millwall Dock abgestellt hatte. Indessen schäumte Mara Revell vor Zorn. Sie war so durcheinander, daß sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ungeduldig wartete sie auf die Rückkehr Ray Mortimers. Ständig lief sie ans Fenster
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