Mein Freund Jossele
nicht bleiben. Immer mehr Familien bekehrten sich zur Elektronik und versorgten ihre Häuser mit garantiert einbruchssicheren Alarmsystemen. Schließlich war auch an uns die Reihe.
Natürlich griffen wir nicht nach dem ersten besten System, das uns unterkam. Nach gründlicher Marktforschung stellten wir fest, dass alle die gleichen Fanggeräte enthielten, die gleichen Fotozellen und das gleiche Überschall-Auge, das bei der geringsten verdächtigen Bewegung im Haus sofort zu zwinkern beginnt. Deshalb war maßgebend, welche Lieferfirma am schnellsten einen Reparaturfachmann schickt, wenn mit der Alarmanlage etwas nicht stimmt. Bei Tula & Co. dauerte das angeblich nicht länger als vierundzwanzig Stunden. Wir entschieden uns für Tula & Co.
Bald war unser Haus mit einem Gewirr von furchterregenden Drähten umgeben, das selbst den verwegensten Einbrecher abschrecken musste. Wohlgefällig besah Tulas Techniker sein Werk.
»Okay«, sagte er. »Hier kommt nicht einmal eine Fliege herein.«
Als nächstes wurden wir über das absolut sichere Funktionieren der Alarmanlage informiert: Falls der elektrische Strom ausgeschaltet würde, träten die Batterien an seine Stelle, und im Falle untauglich gewordener Batterien käme ein eingebautes Notreservoir zum Tragen. Was aber, so begehrten wir weiter zu wissen, wenn es kein Dieb ist, der unsere Schwelle überschreitet, sondern wir selbst, des Hauses Eigentümer?
Ganz einfach, antwortete Tula & Co. Die Alarmsirene trete immer erst nach fünfzehn Sekunden in Aktion, so dass wir Zeit genug hätten, sie abzustellen. Das wäre schon deshalb ratsam, weil wir andernfalls ertauben würden.
Seither sind wir im Bilde. Wenn in unserer Straße eine Alarmsirene aufheult, wissen wir, dass Frau Blumenfeld wieder einmal vergessen hat, die Anlage abzustellen. Wir selbst fühlten uns völlig sicher und gingen noch am selben Tage aus. Unser Vertrauen hielt bis zur übernächsten Straßenecke an.
Dann blieb die beste Ehefrau von allen erbleichend stehen:
»Um Himmels willen«, flüsterte sie. »Ich weiß nicht, ob ich den Alarm eingeschaltet habe . . .«
Wir sausten zurück, fanden alles in bester Ordnung und machten uns glücklich auf den abermaligen Weg.
Als wir im Restaurant die Speisekarte studierten, durchfuhr mich plötzlich eine Art telepathischer Botschaft: »Falscher Alarm, falscher Alarm!«
Atemlos langten wir zu Hause an. Tatsächlich: Die ganze Nachbarschaft hatte sich versammelt, Wattepfropfen in den Ohren und Flüche auf den Lippen. Besonders erbittert war unser Nachbar Felix Seelig, dem seine Nachtmahlgäste davongelaufen waren, weil sie den ohrenbetäubenden Lärm nicht vertrugen. Wir baten ihn um Entschuldigung, die er uns nicht gewährte, und betätigten den Notruf zu Tula & Co. Der Reparaturfachmann entdeckte binnen kurzem die Ursache des Betriebsunfalls: Unser Telefon hatte geklingelt und mit seinem Signal die Sirene aufgeweckt. Künftig sollten wir vor jedem Verlassen des Hauses den Telefonstecker herausziehen und zur Sicherheit auch den Fernsehapparat lahmlegen.
Am folgenden Abend gingen wir ins Kino, die ganze Familie. Der Film war auch für unsere Kleinen geeignet, ein Krimi, aber nicht zu kriminell. Gerade als es spannend zu werden versprach, griff die beste Ehefrau von allen mit zitternder Hand nach meinem Oberarm. Auch ihre Stimme zitterte:
»Ephraim . . . ich . . . das Telefon . . . ich bin nicht sicher, ob ich den Stecker herausgezogen habe .
. .«
Mit einem Satz war ich im Foyer, rief Felix Seelig an, entschuldigte mich für die Störung zu so später Stunde und fragte ihn, ob er vielleicht einen Lärm hörte ähnlich dem gestrigen.
Nein, es sei nichts zu hören, sagte er.
Zufrieden schlich ich auf meinen Sitz zurück und suchte, den unterbrochenen Spannungsfaden aufzunehmen.
Zehn Minuten später wiederholte ich meinen Anruf: Man kann nie wissen.
Felix antwortete unverändert negativ, nur sein Tonfall hatte sich ein wenig in Richtung Grobheit verändert. Beim drittenmal hob er gar nicht erst ab. Ein klassischer Fall von guter Nachbarschaft.
Was den Krimi betrifft, so habe ich leider nicht mehr erfahren, wer der Mörder war, denn wir verließen das Kino vor Schluss des Films und rasten in polizeiwidrigem Tempo nach Hause. Völlige friedliche Ruhe empfing uns. In unserer begreiflichen Erleichterung vergaßen wir den Fünfzehn-Sekunden-Spielraum, was uns dann die beruhigende Gewissheit verschaffte, dass die Alarmanlage nichts von ihrer Lautstärke
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