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Mein Freund Jossele

Mein Freund Jossele

Titel: Mein Freund Jossele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ephraim Kishon
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wahrscheinlich »Kleiner-Vogel-den-kein-Kellner-sieht«.
    Andererseits könnte ich mir vorstellen, dass die indianischen Kellner mich sehen würden. Es sind die israelischen, die mich nicht sehen.
    Soll ich mich damit trösten, dass ich in meinem Dilemma nicht allein bin? Die Gaststätten des Gelobten Landes bersten von Möchtegern-Essern, die sich erfolglos bemühen, von einem Kellner gesehen zu werden. Einige hissen die Fahne der Rebellion in Form einer Papierserviette, die sie wild über ihrem Kopf hin und her schwenken, um auf diese Weise visuellen Kontakt mit dem Personal herzustellen. Oder sie schreien. Oder sie dreschen ihre Fäuste auf den Tisch. Aber was immer sie tun
    - kein Kellner sieht sie.
    Ich habe von einem verzweifelten Restaurantbesucher in Jaffa gehört, der zwecks Verdeutlichung seines Hungers eine blaurote Rakete abbrannte. Es gab auch schon Versuche mit Lassos. Und in einem unserer vornehmsten Schlemmerlokale saß einmal ein Gast zwanzig Minuten lang mit einer Blinklampe auf dem Kopf, in der Hoffnung, durch ständiges Blink-blink-blink die Aufmerksamkeit eines Kellners zu erregen. Er hoffte vergebens.
    Nach Ansicht erfahrener Zeitgenossen gibt es nur einen einzigen sicheren Weg zur Herbeilockung eines Kellners: indem man aufsteht und das Lokal verlässt, ohne zu zahlen. Die Anhänger dieser These sind im Irrtum. Der israelische Kellner legt nicht den geringsten Wert auf ihr schäbiges Geld.
    Was er will, ist Macht, die nackte, selbstherrliche Macht, nur den zu nähren, der ihm passt. Außerdem ist schon manch ein Hungriger, der sich unter wüstem Schimpfen entfernt hatte, bald darauf reuig zurückgekehrt und hat sich wieder hingesetzt, zur nächsten Runde im Kampf um den Blick des Kellners.
    Auch Gewaltakte helfen nicht. Man kennt den Fall eines Gastes, durch den die Kellner so lange hindurchsahen, bis er sich für Glas hielt und gewissermaßen zu Prüfungszwecken ein Glas ergriff, das er an die Wand schleuderte, und dann noch eines, noch eines und noch eines. Das Urteil lautete auf zwei Stunden, die er zwischen den Glasscherben absitzen musste, und niemand kümmerte sich um ihn. Aber es sind auch schon Gäste verhungert, die ohne Glasscherben dasaßen.
    Vor der Illusion, durch ein generöses Trinkgeld ans Ziel zu gelangen, muss eindringlich gewarnt werden. Der israelische Kellner ist nicht käuflich.
    Vor einigen Wochen, in einem kleinen, nur halb gefüllten Lokal mit weiblicher Bedienung, verlor ich die Kontrolle über mich, packte die ältliche Kellnerin an den Schultern und schüttelte sie: »Warum tun Sie so, als ob ich nicht vorhanden wäre? Nur weil ich ein Gast bin? Bin ich deshalb kein Mensch?
    Warum sehen Sie mich nicht?«
    Die Kellnerin richtete sich auf, strich ihr graues Haar zurecht, sah mich ruhig an und sagte: »Ich stehe seit sieben Uhr früh auf den Beinen, mein Herr.«
    Damit verschwand sie in Richtung Küche. Ich habe sie nicht mehr gesehen, besser gesagt: sie hat mich nicht mehr gesehen.
    Auf dem Heimweg verfiel ich in tiefe Nachdenklichkeit. Das ist es, sagte ich mir. Das ist der Grund für das defekte Verhalten der israelischen Kellner. Wenn die grauhaarige Hexe ihren Dienst ein wenig später angetreten hätte, sagen wir: um neun statt um sieben, hätte sie vielleicht die Umrisse meiner Gestalt ausmachen können. Und bei einem Arbeitsbeginn um die Mittagszeit wären sogar meine Gesichtszüge bis zu ihrer Netzhaut gelangt, wenn auch undeutlich. Wer weiß, am Ende hätte sie im Vorübereilen ein hastiges »Ich komme sofort« für mich fallen lassen. Natürlich wäre sie nie gekommen. Aber ich hätte mir wenigstens sagen dürfen, dass ich gesehen wurde.
    Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Eines Tages werde ich meinen Lebenserinnerungen eine kurze Notiz anfügen: »Heute habe ich den Blick eines Kellners erhascht. Ich bin im Himmel.«
    Und dann sterbe ich, mit einem triumphierenden Lächeln auf den Lippen.

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