Mein Freund Jossele
oder nicht! Brave Kinder müssen Spinat essen! Keine Widerrede!«
»Warum müssen sie?«
»Weil sie sonst in die Ecke gestellt werden, bis Papi nach Hause kommt. Und was dann passiert, kannst du dir denken. Also, iss deinen Spinat schön a u f . . . Na, wird's bald?«
»Ich mag nicht!«
Es war die natürliche Reaktion des kindlichen Gemüts auf einen unverständlichen Zwang. Damit hatte ich meine Mutter genau dort, wo sie mich haben wollte. Und als mein Vater nach Hause kam, fand er sie in Tränen aufgelöst:
»Siehst du?« schluchzte sie. »Hab' ich dir nicht immer gesagt, du verwöhnst ihn zu sehr?«
Mein Vater versetzte mir daraufhin ein paar Ohrfeigen, und wir hatten endlich ein normales Familienleben: Ich hasste Spinat wie alle anderen Kinder, und meine Eltern waren beruhigt.
Da der Spinat für mich von nun an »pfui« blieb, wurde nach einiger Zeit ein Familienrat einberufen, um erzieherische Maßnahmen zur Änderung dieses Zustandes zu beraten. Man diskutierte die einschüchternde Wirkung der »bösen Hexe«, des »schwarzen Mannes« und entschied sich schließlich für den »Lumpensammler« - einfach, weil es den wirklich gab: »Du hast deinen Spinat schon wieder nicht aufgegessen? Warte nur, der Lumpensammler wird dich holen!«
»Wohin?«
»In seine finstere Hütte! Und dort sperrt er dich in seinen finsteren Kleiderschrank! Warte nur!«
Ich wartete nicht, sondern zog es unter den gegebenen Umständen vor, meinen Spinat zu essen.
Einige Tage später - die tägliche Spinatschlacht war bei uns gerade im Gange - ertönte von der Straße her der schneidende Ruf: »Lumpen! Alte Kleider!«
Mir fiel der Löffel aus der Hand, und wie der Blitz war ich unter dem Tisch, mitsamt meinem Spinatteller, den ich bebend vor Angst bis zur letzten grünen Faser leerte.
Meine Eltern gaben dem Lumpensammler einen Berg von alten Kleidern und baten ihn, als Entgelt dafür täglich um die Mittagszeit durch unsere Straßen zu kommen und sehr laut zu rufen.
In diesem Sommer nahm ich zwei Kilo zu. Meine Eltern strahlten.
Eines Tages, als der Lumpensammler schon vor dem Mittagessen vorbeikam, nutzte ich die einmalige Gelegenheit und ließ aus einem Fenster im zweiten Stock ein Bügeleisen auf seinen Kopf fallen. Der alte Mann brach zusammen. Das allgemeine Mitleid der übrigen Hausbewohner wandte sich aber nicht etwa ihm zu, sondern meinen armen Eltern, die sich den Wutausbruch ihres missratenen Sohnes umso weniger erklären konnten, als er doch sonst immer so brav seinen Spinat aufaß.
Den Lumpensammler gibt es nicht mehr. Sein Schreckensruf ist längst verstummt. Der Held meiner Kinder ist ein Fernsehstar, der immer Spinat isst, wenn er auf dem Bildschirm erscheint. Bei seinem Anblick quietschen meine Kinder vor Vergnügen. Die Zeiten haben sich geändert. Kinder aufzuziehen ist kein Spaß mehr.
Freundschaftspreis
Geschäft und Freundschaft sind zweierlei, pflegen Geschäftsleute ihren Freunden zu sagen.
Gewiegte Soziologen zweifeln, ob in unserer modernen, gewinnorientierten Konsumgesellschaft überhaupt noch Menschen existieren, die nicht durch uns, über uns oder gegen uns geschäftlich verbunden sind. Ich habe in mir die vage Hoffnung genährt, dass wahre und uneigennützige Freundschaft noch nicht ausgestorben ist, dass es ein paar Menschen gibt, die mich um meiner selbst willen lieben. Und in der Tat: Es gibt sie! Ich bin bereit, jedem Gleichgesinnten eine Liste mit den Namen und Adressen zukommen zu lassen gegen Bezahlung. Bar.
Im Voraus.
Allmählich mussten wir einsehen, dass unser alter Stereo-Plattenspieler, den wir für bare 3000
Israelische Pfund gekauft hatten, nicht mehr der beste war. Genauer gesagt: Er war unbrauchbar geworden. Zum Beispiel beschleunigte er um die Mitte jeder Darbietung seine Drehgeschwindigkeit so rasant, dass Schaljapin sich in einen strahlenden Sopran verwandelte und die ausdrücklich als
»solemnis« bezeichnete Missa in ein zirpendes Kinderlied. Die Versuche, sein Tempo durch Auflegen eines schweren gläsernen Aschenbechers zu bremsen, erwiesen sich als unfruchtbar. Erfolgreicher waren die Mahnungen der besten Ehefrau von allen, das Wrack zu verkaufen. Ich gab ein Inserat folgenden Wortlauts auf: »Erstklassiger Stereo-Plattenspieler, in hervorragendem Zustand, wie neu, familiärer Umstände halber um I£ 4.000,- abzugeben. Einmaliger Gelegenheitskauf !«
Da wir jedoch auf unsere gewohnte musikalische Erbauung nicht verzichten wollten, begannen wir uns vorsorglich nach
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