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Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Titel: Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenna Miscavige Hill , Lisa Pulitzer
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kleinen Jungen. Er war erst zehn und einen ganzen Kopf kleiner als ich. Es wäre in jeder Situation schwierig gewesen, ihn überhaupt ernst zu nehmen, aber es war schon bestürzend zu sehen, wie gebieterisch ein kleiner Junge als Wächter auftreten konnte, sobald man ihm ein wenig Macht gab. Martino drückte mir kurz die Hand, dann wandte er sich zum Gehen. Die beiden Jungs, die ihn beobachteten, waren Freunde von ihm, und so würde er nach diesem Miniplausch vermutlich eher ungeschoren davonkommen als ich.
    Nachdem Martino verschwunden war, sah ich Steven bittend an, nichts zu sagen. Steven war vor dieser ganzen Sache mal mein Freund gewesen. Ich hatte ihn sogar einmal vor dem Zorn Julias gerettet und hoffte nun, er würde sich revanchieren, aber ich hatte Pech. Ein paar Minuten später hing er bereits am Telefon und berichtete, was vorgefallen war. Ungefähr eine halbe Stunde dauerte es, dann fuhr der Wagen der Org am Quality Inn vor, um mich abzuholen. Die Schule war beendet, bevor sie begonnen hatte. Ein weiterer Besuch wurde mir verboten.
    Es schien unmöglich, den Kreislauf zu durchbrechen. Selbst wenn ich mich tadellos verhielt, tauchten unentwegt Dinge auf, die mich zurückwarfen. Es raubte mir die letzten Kräfte.
    Ich war bereits seit Monaten ein Schandfleck für das ganze Universum, als mein CO mich fragte, was mich davon abhielt, mein Programm erfolgreich zu absolvieren. Ich war ehrlich und antwortete ihr, dass ich einige der Behauptungen, die über mich gemacht worden waren, einfach nicht auf sich beruhen lassen konnte. Etwa, dass ich beim geringsten Anlass sofort zu meinen Eltern rennen würde oder dass die Ranch meinetwegen geschlossen wurde. Außerdem war ich nicht einverstanden, wie viel Aufhebens darüber gemacht wurde, dass ich das Telefon benutzte. Ich erzählte ihr, mir sei aus vertraulichen Gesprächen mit Freunden von der Ranch bekannt, dass andere ständig mit ihren Eltern auf der Int telefonierten.
    Ich bat um ein Gespräch mit Tante Shelly. Diese willigte zögerlich, aber auch erleichtert ein, so als hätte sie schon seit einer Weile mit mir reden wollen. Das Treffen fand in einem der Auditing-Räume im WB statt. Shelly trat schroff und reserviert auf und begrüßte mich nur mit einem kurzen Hallo statt mit der sonst üblichen Umarmung.
    Nachdem ich meine Fortschritte aufgezählt hatte, fing ich an, die Vorwürfe, die man mir gemacht hatte, anzufechten. Doch sobald ich die Einzelheiten erwähnte, wurde sie stinksauer.
    »Ich nehme mir extra Zeit, um mit dir zu reden, und dann willst du mir bloß erzählen, dass ich unrecht hatte? Selbst wenn einige Vorwürfe gegen dich nicht hundertprozentig zutreffend gewesen sein sollten, eine Menge Dinge in deiner Ethik-Akte stimmen definitiv.« Sie ließ ihre Worte wirken, bevor sie in sanfterem Ton fortfuhr: »Meiner Meinung nach gründen deine Schwierigkeiten in falsch verstandenen Worten aus Kursen, insbesondere Worten aus Vol Zero . Du musst einfach zurückgehen und die Worte clearen.« Das war ihre Art einzugestehen, dass ich nicht allein die Schuld trug und kein von Grund auf schlechter Mensch war.
    Ich dachte schon, sie würde es dabei belassen, doch dann schloss sie noch eine Warnung bezüglich Männern an: »Viele gieren nach Macht und Informationen und heiraten aus diesem Motiv heraus CMO -Mädchen, die sie anschließend nach unten ziehen. Darauf musst du unbedingt achtgeben, denn in der Vergangenheit ist das schon oft passiert.«
    Obwohl sie es nicht offen aussprach, war ich damit offenbar mehr oder weniger begnadigt. Die Nebenbemerkung über Männer bedeutete wohl, dass sie Martino eine Teilschuld gab und mich für sein ahnungsloses Opfer hielt. Ich sollte mich also von ihm fernhalten und mich auf das Clearing meiner missverstandenen Wörter konzentrieren. Shelly schloss mich nach der Unterhaltung sogar kurz in die Arme.
    Wundersamerweise wurde ich am nächsten Tag bereits ganz anders behandelt. Anscheinend brachte Tante Shelly zumindest ein paar meiner Einwände Verständnis entgegen, denn ihr Sinneswandel war entschieden genug, sich sofort auf ihre Umgebung abzufärben. Ursprünglich hatte sie bestimmt demonstrieren wollen, dass Widerspruch ihr gegenüber nicht akzeptabel war und niemand damit ungeschoren davonkam. Allerdings dürfte ihre Wut weitgehend eine bloße Pflichtübung gewesen sein, da wahrscheinlich vor allem mein Onkel sich über meine unerwünschten Freundschaften aufgeregt hatte. Tante Shelly musste mächtig verärgert tun,

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