Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
Ahnung warum, aber es verlieh mir ein wenig Sicherheit, sie wieder zusammen zu wissen. Es gab mir das Gefühl, als wäre alles wieder ein wenig so wie vor Don und vor Moms RPF . Vermutlich machten sie beide inzwischen ihre lange Trennung für Moms Affäre verantwortlich. Praktische Folgen hatte das alles für mich natürlich nicht, dafür traf ich sie zu selten.
Mit der Zeit gelang es mir besser, die ständigen Gedanken an Martino zu verdrängen. Ich wechselte meinen Unterrichtstag, damit ich ihm sonntags nicht begegnen konnte. Während der Kurse saß ich stets neben einem Jungen namens Wil, der sehr groß und sehr nett war. Er hielt mir immer einen Platz frei, daher wusste ich, dass er mich mochte. Er war cool und lustig, und er spielte Gitarre, was mich sehr beeindruckte. Ich unterhielt mich gern mit ihm, da er auch gut zuhören konnte. Er war nicht in der Sea Org aufgewachsen, und ich lauschte fasziniert, wenn er von seinem Leben in der Wog-Welt sprach.
Ich empfand für Wil jedoch nie dasselbe wie für Martino, auch wenn ich ihm nicht länger nachtrauerte. Alles verlief gut, bis ich eines Tages nach dem Unterricht mit den anderen auf den Bus zurück zur Hacienda wartete. Wil wartete mit mir und hielt meine Hand, um sich von mir zu verabschieden. Plötzlich sah ich Martino vorbeirennen. Demonstrativ sah er in die andere Richtung. Da wir nicht mehr am selben Tag Unterricht hatten, war es ein wirklich seltsamer Zufall. Ich hatte ihn seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. In der darauffolgenden Woche kam ich in den Kursraum und nahm neben Wil Platz. Auf der anderen Seite von ihm saß Martino und grinste mich breit an. Ich hatte absichtlich meinen Kurstag geändert, um ihm und neuen Scherereien aus dem Weg zu gehen, und nun saß er direkt an meinem Tisch. Ich war genervt und sogar ein wenig wütend auf ihn. In meinen Augen hatte er einfach das Interesse an mir verloren und dadurch natürlich meine Gefühle verletzt. Andererseits war es auch denkbar, dass er mir nur ausgewichen war, um keine Schwierigkeiten zu bekommen. So oder so, ich gab mir alle Mühe, über ihn hinwegzukommen, und glaubte auch, es geschafft zu haben.
Martino schien die Unruhe zu genießen, die er durch seine Anwesenheit erzeugte, was meinen Ärger noch verstärkte. Ich packte Wils Arm, und wir wechselten in den Nebenraum, aber Martino wechselte ebenfalls und setzte sich wieder direkt an unseren Tisch. Ich hätte ihn am liebsten gewürgt, aber selbst Wil fand die Sache offenbar eher komisch als unangenehm. Ich konnte einfach nicht begreifen, warum Martino das tat. Ich hatte endlich einen Schlussstrich gezogen, und jetzt mischte er sich wieder ein. Ich beschloss, so zu tun, als ob er nicht da wäre.
In der folgenden Woche sollte es noch schlimmer kommen. Ich hatte kürzlich Neuigkeiten von Justin gehört, von dem ich seit über einem Jahr keine Nachricht mehr bekommen hatte. Ein Freund von der Ranch, der die Flag besuchte, hatte mit ihm gesprochen und kannte seine Nummer. Ich nahm mir vor, ihn während der Mittagspause anzurufen.
Der Vorwahl zufolge musste er irgendwo in L. A. wohnen. Auch wenn er der Sea Org den Rücken gekehrt hatte, so dachte ich doch, dass er womöglich noch in irgendeiner Form zur Scientology gehörte. Eine junge Frau meldete sich und holte ihn ans Telefon. Sein »Hallo« klang alles andere als begeistert, während ich vor Aufregung ganz aus dem Häuschen war. Zuerst tat er, als wüsste er gar nicht, wer ich war. Endlich nach reichlich Drängen und Bohren sprach er ganz offen.
»Hör mal. Meine Familie interessiert mich einen Dreck. Sie bedeutet mir überhaupt nichts. Du bist mit Ronnie und Bitty zusammen und ziehst deren Ding durch, und mit denen will ich auch nichts mehr zu tun haben.«
»Aber, Justin, ich bin gar nicht mit ihnen zusammen. Ich habe mit ihnen seit ewigen Zeiten nicht geredet. Was haben denn die Probleme, die du mit ihnen hast, mit mir zu tun?«
Es hatte alles keinen Sinn. Man konnte mit ihm nicht vernünftig reden.
»Die beiden interessieren mich einen Dreck. Und du interessierst mich auch einen Dreck. Ich hab keine Schwester.«
Mit diesen Worten legte er auf.
Ich war am Boden zerstört. Ich hatte keine Ahnung, was gerade geschehen war oder warum. Und dabei war es nicht ganz ungefährlich für mich gewesen, ihn anzurufen.
Als ich zurück in den Unterricht ging, konnte ich nur mit Mühe die Fassung bewahren. Ich hatte mit Justin zwar seit seiner Trennung von der Sea Org nicht mehr geredet, dass unser
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