Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
Zimmer zu gehen, und schlich dann zurück zur Aufzugstür, wo er tatsächlich noch wartete.
Er war froh mich zu sehen. Auf der Flag erzählten wohl alle nur, dass ich eines Tages einfach verschwunden sei. Niemand wusste, wo ich war. Er freute sich schon, nun all meinen Freunden berichten zu können, dass er mich getroffen hatte. Wir beendeten unsere Unterhaltung mit einer raschen Umarmung, und gerade als er mir versprach, alle von mir zu grüßen, stieg – nicht ganz zufällig – Mr. Rodriguez aus dem Fahrstuhl und packte meinen Arm. Anscheinend hatte sie der Sicherheitsdienst alarmiert, deren Überwachungskameras mich entdeckt haben mussten.
»Was sollte denn das nun wieder?«, fuhr sie mich erregt an. Sie war tatsächlich so unverfroren, mich zu fragen, warum ich es nötig hatte, hier herumzuschleichen.
»Das liegt nur daran, dass Sie mich ständig wegzerren, wenn ich einem Bekannten begegne«, erwiderte ich. Glücklicherweise beließ sie es bei einem kurzen Auflachen und bestrafte mich für die Widerworte nicht.
Ein paar Monate später stand Weihnachten vor der Tür, und ich fühlte mich elend. Früher war Weihnachten immer eine feierliche Zeit mit meinen Freunden gewesen, aber in diesem Jahr hatte ich weder einen einzigen Brief erhalten, noch hatte ich selbst einen einzigen schreiben dürfen. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Das Schreiben von Briefen war sonst immer erlaubt gewesen. Ich hörte von keinem meiner Verwandten auch nur das Geringste. Am Weihnachtsabend musste ich mit Mr. Rodriguez und Mr. H im Restaurant essen gehen, was sich kaum von unserem täglichen Zusammensein in der Kantine unterschied. Zur Feier des Tages wurde mir außerdem gestattet, zwei Folgen von Dharma & Greg zu sehen. Jenna Elfman, die Darstellerin der Dharma, war Scientologin.
Das Beste an Weihnachten war noch das Geschenk von Mr. Marty Rathbun, mein erstes Harry Potter -Buch. Ich lag nachts wach, bis ich es ausgelesen hatte. Es gefiel mir wahnsinnig gut. Für eine Weile konnte ich dank dieser Lektüre meinem wirklichen Leben entfliehen.
Irgendwann im Januar schloss ich meinen PTS / SP -Kurs ab. Mr. H zufolge durfte ich jetzt einen Posten antreten, musste für die konkreten Einzelheiten aber noch ein paar Wochen warten. Sie sagte mir, dass ich auf jeden Fall nicht im CMO PAC , sondern im CMO IXU arbeiten würde. Die Nachricht freute mich, da ich viele Leute dort bereits kannte, zugleich war mein Traum von einer Rückkehr auf die Flag damit endgültig geplatzt.
Zwei Wochen später hatte ich meinen Job: Ich wurde als Word Clearer eingesetzt, was mich völlig frustete. Ich hätte gerne wieder im Bereich der Programmangebote und Dienstleistungen gearbeitet, stattdessen würde ich nichts anderes tun, als Leuten, die feststeckten oder Ärger wegen ihrer Studien oder ihrer Arbeit bekommen hatten, dabei zu helfen, ihre missverstandenen Worte zu finden. Das Gute daran war, dass ich mich in der Kantine künftig zu meinen Freunden setzen konnte und nicht länger mit Mr. Rodriguez und Mr. H am RTC -Tisch essen musste. Das Schlechte war, dass die Verpflegung der einfachen Mitarbeiter ungenießbar war. Jeder investierte sein Gehalt in zusätzliches Essen.
Untergebracht war ich jetzt mit fünf anderen Mädchen in einer Wohneinheit am Hollywood Boulevard. Unser knapp fünfzig Quadratmeter großes Zimmer lag im achten Stock des Hollywood Inn. Es gab keine Klimaanlage, das Wasser war entweder eiskalt oder siedend heiß, und der Fahrstuhl funktionierte nicht. Nachts trieben sich ständig irgendwelche Leute vor dem Haus herum und machten Lärm. Sie feierten, schrien und stritten sich – manchmal alles gleichzeitig. Dabei durfte ich mich offenbar noch glücklich schätzen, denn das Hollywood Inn, in dem CMO und leitende Mitarbeiter einquartiert wurden, war angeblich noch schick verglichen mit dem Anthony Building an der Fountain Avenue, in dem Crewmitglieder sonst wohnten. Trotz des ekligen Essens und der schlechten Unterbringung war ich schon froh über die kleinen Freiheiten. Ich wohnte mit Freunden zusammen, konnte mit ihnen gemeinsam essen und musste nicht auf jedem Gang zur Toilette begleitet werden. Ich würde mein altes Leben und meine alten Freunde nicht zurückbekommen, aber wenigstens erhielt ich jetzt die Chance, neue zu finden, was gar nicht so schwer war, da die Mitarbeiter im CMO IXU erheblich lockerer waren als im PAC .
Mir wurde ein Büro zugewiesen, in dem ich tagsüber meinen Wortklärungsaufgaben nachkommen sollte. Für
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