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Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Titel: Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenna Miscavige Hill , Lisa Pulitzer
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Diesen Tatbestand erfüllte man beispielsweise schon, wenn man sich von anderen Lebensmittel kaufen oder die Autoversicherung bezahlen ließ, ohne die Beträge zurückzuerstatten, was bei dem geringen Gehalt von Sea Org-Mitgliedern kaum machbar war. Neben der öffentlichen Anprangerung ihres Fehlverhaltens wurden auch häufig höchst private, vermeintlich unethische Dinge bekannt gemacht, etwa die Masturbationsgewohnheiten des Betreffenden oder andere sehr persönliche Einzelheiten, die ihn bloßstellen sollten. In der Regel basierten diese Erklärungen bloß auf widerlichen Verdrehungen der Wahrheit, doch das Schlimme an ihnen war, dass sie allen fünfhundert Angehörigen der Base zugeschickt wurden und damit jeder von den Anschuldigungen wusste.
    »Ethikgericht, Dallas T. Hill«, lautete die Überschrift dieses Goldenrod.
    »Ich glaub’s nicht«, platzte jemand im Büro heraus. »Hat der Kerl doch glatt darauf bestanden, dass das Ethikgericht das T seines zweiten Vornamens ins Urteil aufnimmt!« Alle mussten lachen, auch ich. Initialen eines zweiten Vornamens erschienen in solchen Bekanntmachungen nur selten. Wer legte schon Wert darauf, seinen vollen Namen unter einem derartigen Text zu lesen? Ich vermutete hinter dem merkwürdig formell klingenden Dallas T. Hill jedenfalls einen hochbetagten Mann.
    Als ich erfuhr, dass es sich in Wirklichkeit um den hübschen Jungen handelte, der auf dem Gang im fünften Stock mein Lächeln so freundlich erwidert hatte, war ich geschockt. Er hatte einen so anständigen Eindruck gemacht. Zögernd las ich weiter. Obwohl ich wusste, wie stark die Wahrheit in diesen Urteilen häufig verdreht wurde, fürchtete ich doch, durch die Lektüre negativ beeinflusst zu werden. Es zeigte sich allerdings, dass der Goldenrod in diesem Fall nichts Persönliches oder Sexuelles betraf. Dallas war wegen Verfehlungen an seinem Arbeitsplatz in Schwierigkeiten geraten. Offenbar hatte er auf einige Telexe nicht reagiert, also auf Nachrichten, die zwischen Kirchenleitung und untergeordneten Scientology-Gemeinden ausgetauscht wurden. Für ein solches Bagatellvergehen gleich das Ethikgericht auf den Hals zu bekommen, schien ein wenig absurd, aber vermutlich hatte er seine Aufgaben einfach zu häufig vernachlässigt.
    Mir fehlte allerdings die Zeit, mich mit Dallas’ misslicher Lage zu beschäftigen, denn ich hatte in dieser Woche schon genug mit den Turbulenzen in meinem eigenen Leben zu kämpfen. Es gab Anschuldigungen, ich hätte mit einem verheirateten Italiener in der CMO geflirtet, und nun musste ich mich dagegen verteidigen. Dabei waren wir nur lose befreundet und unterhielten uns ab und zu gerne miteinander. Er hatte mich schon an meinem ersten Tag in L. A. gesehen, als ich in den Konferenzraum kam, um mit Mr. Rathbun und Mr. Rinder über meine Eltern zu sprechen. Auch am nächsten Tag waren wir uns auf meinem Weg zum Ethik-Interview mit Mr. Rathbun begegnet. Wir kamen über die Tatsache ins Gespräch, dass er vage über meine Situation Bescheid wusste, ohne Einzelheiten zu kennen. Dennoch hatte ich ganz sicher nicht mit ihm geflirtet und war, um ehrlich zu sein, auch wirklich sauer, als ich von den Unterstellungen erfuhr.
    Natürlich bestritt ich alles, aber sobald derartige Anschuldigungen gemeldet wurden, galten sie als erwiesen, und die einzig akzeptable Reaktion war ein vollständiges Geständnis. Ich wusste, wie diese Sachen liefen, auch wenn sie mir zum Hals heraushingen. Und ohne den knappen, aber netten Überredungsversuch von Mr. H, obwohl sie dabei natürlich versuchte, entschieden und respekteinflößend zu klingen, hätte ich es auch nicht getan, sondern lieber meinen Kopf hingehalten. Im Grunde erklärte sie, mich eigentlich nur für jemanden zu halten, der Männern wie Frauen ausgesprochen freundlich und offen begegne, was zu Missverständnissen geführt haben könnte. Sie bat mich um unser beider Willen, die Sache mit einem Geständnis rasch zu beenden oder wenigstens Verantwortung zu übernehmen für den »Eindruck«, den ich erweckt hatte. Es ging mir immer gegen den Strich, wenn die Tatsachen so verdreht wurden, aber in diesen Abläufen hatten stets sie am Ende das letzte Wort, und selbst ohne ein Geständnis von mir würden sie die Sache nachher klingen lassen, als hätte ich alles zugegeben. Also brachte ich es hinter mich, gestand und redete nie wieder ein Wort mit meinem italienischen Freund. Es ärgerte mich noch immer, aber nach den vielen Security-Checks, in denen meinem

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