Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
»Raus aus den Federn!« Sie hielt eine Kneifzange in der Hand und kam direkt auf mich zu. »Fangen wir gleich mit dem Wichtigsten an und befreien dich für immer und ewig von diesem Piercing.« Sie befahl mir liegen zu bleiben, setzte die Zange an dem Stein auf meinem Ring an, knackte ihn entzwei und zog den Ring heraus.
»Autsch«, sagte ich. Die Demütigung schmerzte mehr als das Entfernen.
Danach brachte sie eine Kosmetiktasche zum Vorschein und sagte, ich würde von nun an keinen blauen Eyeliner mehr tragen, da das unschicklich für einen Commodore’s Messenger sei. Mr. Rodriguez empfahl mir zudem, meine Teenagerhaut mit Abdeckcreme zu kaschieren. Es war alles höchst peinlich. Ich zog die Uniform bestehend aus dunkelblauen Hosen und hellblauem Hemd an, die sie mir gab, woraufhin sie behauptete, ich sehe schon viel besser aus.
Draußen beim Kleinbus der RTC trafen wir Mr. H, mit der zusammen wir zum Frühstücken ins Hollywood Guaranty Building fahren sollten. Ihr »Guten Morgen«-Gruß wurde von einem sarkastischen Lächeln begleitet, so als wäre sie gar nicht erfreut darüber, meinetwegen von ihrer gewohnten Morgenroutine abweichen zu müssen. Auf dem Weg zum HGB ließen die beiden Frauen ein Harry Potter -Hörbuch laufen, was zwar nicht mir zuliebe geschah, mir aber eine willkommene Gesprächspause einbrachte. Ich wusste wirklich nicht, wie lange ich die Sticheleien von Mr. Rodriguez noch ertragen würde.
In der Eingangshalle des HGB bemerkte ich zwei Leute, die ich von der Flag kannte. Erfreut sie zu sehen, blieb ich stehen und begrüßte sie. Sofort packte Mr. Rodriguez meinen Arm und zerrte mich fort. Die beiden sahen mich mit verblüfften Mienen an. »Weiter geht’s«, sagte Mr. Rodriguez, bezichtigte einen der Flag-Leute noch, sich nur einschleimen zu wollen, und schob mich davon.
Wir fuhren mit dem Fahrstuhl in den sechsten Stock, wo sich die Mitarbeiterkantine befand. Sie bestand aus einem großen Saal mit Klapptischen und wirkte erheblich hässlicher und dreckiger als die auf der Flag.
Mindestens fünf Leute kannten mich und wollten mich begrüßen, aber ich winkte ab und bedeutete ihnen stumm, dass ich keine Unterhaltungen führen durfte. Alle Augen waren auf uns gerichtet, als Mr. Rodriguez, Mr. H und ich an der Stirnseite des Saals an einem großen runden Tisch für die leitenden Mitarbeiter Platz nahmen. Führungskräfte aßen an runden Tischen, während die Tische der restlichen Mitarbeiter rechteckig waren.
Beim Anblick der vielen bekannten Gesichter an den Nebentischen fühlte ich mich schon ein wenig wohler, in dieser Base stationiert zu sein, auch wenn mir der Wechsel noch immer schwer im Magen lag. Da sie RTC -Abgeordnete in meiner Gesellschaft sahen, blieben die meisten wohlweislich auf Distanz.
»Miss Popular«, kommentierte Mr. H höhnisch.
Kurz darauf kam eine deutschstämmige Frau an unseren Tisch und fragte, was wir zum Frühstück wünschten. Meine Guardians bestellten beide Müsli, und ich schloss mich an. Ich fühlte mich nicht in der Lage zu essen, aber sie bestanden darauf, weil ich nur so »studierfähig« sei, ein Adjektiv, das bedeutete, dass man zum Lernen angemessen ernährt und ausgeschlafen sein sollte. Widerwillig aß ich ein paar Löffel, während die anderen beiden miteinander plauderten. Ab und zu sprachen sie mich an, aber ich fühlte mich so unglücklich, dort zu sein, dass irgendwie nichts von ihnen bei mir ankam. Nach dem Frühstück gingen wir in den fünften Stock hinunter. Mr. H führte mich in einen separaten Bereich mit drei Auditing-Räumen. Es waren die Auditing-Räume des RTC , in denen ich nun studieren, Ethik-Zustände erfüllen und sonst alles tun musste, was von mir verlangt wurde. Eigentlich war ich davon ausgegangen, das alles inzwischen hinter mir zu haben, aber da hatte ich mich geirrt.
Meine erste Sitzung mit Mr. Hansen nannte sich Wahrheits-Rundown . Er wurde mir auferlegt, weil ich am Morgen des Telefonats mit meinen Eltern angeblich Mr. Rathbuns Autorität in Frage gestellt hatte. Dabei hatte ich damals lediglich wissen wollen, warum meinen Eltern überhaupt die Auskunft gegeben worden war, dass ich auch gegen meinen Willen mit ihnen gehen würde. Eingebrockt hatte ich mir mit dieser Frage jetzt einen Wahrheits-Rundown, ein Verfahren zur Aufdeckung aller Schwarzer PR – also schlechter Propaganda –, der ich bei dem Gespräch mit meinen Eltern ausgesetzt gewesen war. Ich sollte an den Punkt geführt werden, als ich den Aussagen
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