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Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Titel: Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenna Miscavige Hill , Lisa Pulitzer
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Vorgesetzten, wahrscheinlich also Tante Shelly oder Mr. Rathbun, Bericht erstatten. Ich war eine Miscavige, und in meinem Verhalten wurde auch immer eine Vertretung des Namens Miscavige gesehen.
    Es machte mir nichts aus, dass Mr. H mich wegen Dallas aufzog. Ich glaubte sogar, dass sie mir auf diese Weise auch ihre Zustimmung signalisieren wollte. Seit Mr. Rodriguez auf die Flag versetzt worden war, verstanden wir uns besser. Im Grunde war Mr. H ein guter Mensch, obwohl sie auch gnadenlos hart sein konnte. Sie war etwa in Taryns Alter und stellte damit so etwas wie eine ältere Schwester für mich dar. Tatsächlich hatte sie eine jüngere Schwester, von der sie viel erzählte und die wie ich gerne zeichnete. Ihre Schwester war nicht in der Sea Org, und Mr. H vermisste sie offenbar sehr. Zu Weihnachten bekam ich stets ein Geschenk von Mr. H, und als ich noch mit ihr gemeinsam essen musste, erzählte sie mir häufig von Filmen, die sie gesehen, und von Büchern, die sie gelesen hatte. Ich glaube, sie war traurig, als ich schließlich an anderen Tischen essen durfte, weil sie nun ganz alleine saß. Dass ich mich über diese Freiheit auch noch freute, dürfte ihre Traurigkeit noch verstärkt haben. Aber als RTC -Abgeordnete musste sie natürlich ihr Gesicht wahren. Ihre Stellung beim RTC verlieh Mr. H eine Menge Autorität, sie verbot ihr jedoch zugleich, Freundschaften zu schließen. Es wurde wirklich einsamer, je höher man kletterte.
    Meine Freunde fanden alle schnell Gefallen an Dallas. Da er jetzt an meinem Tisch aß, lernten sie ihn schnell kennen. Er war einfach ein richtig netter Kerl, unkompliziert und offen im Gespräch und dazu extrem höflich. Stets öffnete er vor mir die Tür und bot seine Hilfe an, wo immer jemand sie brauchte. Nach Feierabend saßen wir oft draußen auf der Feuertreppe neben meinem Zimmer und unterhielten uns die halbe Nacht. Er war Jahrgang 1980 und damit vier Jahre älter als ich. Seine Eltern waren Scientologen, aber nicht in der Sea Org. Bei seiner Geburt hatten sie gerade für eine örtliche Mission in San Diego gearbeitet. Sie waren keine Anwerber im engeren Sinne, aber sein Vater verstand sich darauf, Leute als feste Anhänger der Church zu gewinnen. Die Eltern von Dallas waren beide mit achtzehn zur Scientology gekommen. Auch wenn sie nicht der Sea Org direkt angehörten, so waren sie doch bedeutende Geldspender der Kirche und sehr umtriebige Anwerber.
    Verglichen mit meiner wirkte Dallas’ Kindheit ungeheuer traditionell. Er erzählte mir Geschichten aus seinem Elternhaus und von Familienausflügen mit Tanten, Onkels und Cousins, von denen nur wenige Scientology angehörten. Besonders angetan hatte es ihm das Meer, und er schwärmte von einer Reise nach Mexiko, während der er mit seinen Cousins hatte surfen können. Snowboarden gefiel ihm ebenfalls, und er versprach, es mir eines Tages beizubringen. Ich hatte diese Art von Familienleben oder auch nur diesen Luxus an Freizeit in meiner Kindheit nie erlebt. Nachts im Bett durchlebte ich die Geschichten von Dallas noch einmal in meinem Kopf und wünschte mir, es wären meine eigenen.
    Er war auch mit Scientology ganz anders in Berührung gekommen. In Dallas’ Kindheit hatte Scientology nicht im Vordergrund gestanden, sondern nur eine Nebenrolle gespielt. Bis zur sechsten Klasse war er sogar in eine öffentliche Schule in San Diego gegangen. Dann hatte er wegen einer schlechten Note Streit mit einem Lehrer bekommen, und seine Eltern hatten ihn ab der siebten auf eine lokale Scientology-Schule geschickt. In einem einzigen Klassenraum wurden hier gerade mal zwölf Schüler der Stufe sechs und höher gemeinsam unterrichtet. Daneben gab es noch einen Zweig für dreißig bis fünfzig jüngere Kinder der ersten Klassen, in den seine Schwester gegangen war.
    Ich musste lachen, als Dallas mir erzählte, wie er mehr als eine Woche gebraucht hatte, um die Bedeutung seines ersten Scientology-Worts »Beingness« (»Sein«) zu erfassen. Ihm war nicht klar gewesen, dass Scientology eine eigene Sprache besaß, deren Terminologie oftmals sehr verwirrend sein konnte. Die Highschool absolvierte er auf einem kleinen Scientology-Internat, das zwei ehemalige Sea Org-Mitglieder in ihrem Haus etwa eine Autostunde außerhalb von L. A. leiteten. Es gelang ihm bei diesem Ehepaar, den Lehrstoff von vier Jahren in bewundernswert kurzer Zeit von nur zwei Jahren zu bewältigen. Wie er berichtete, besuchten Anwerber der Sea Org die Schule regelmäßig, um

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