Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
Braut-Zeitschriften zu blättern. Ich strich mir Kleider an, die mir gefielen, wählte Musik für die Hochzeit aus und benannte meine Brautjungfern. Ich spielte sogar mit dem Gedanken, meine Großmutter zu bitten, mir Geld zu leihen, das ich ihr dann später zurückzahlen würde. Doch diese Absicht wäre aufgrund meines bescheidenen Einkommens gar nicht realisierbar gewesen. Seit meinem Weggang aus Florida hatte ich keinen Kontakt mehr mit ihr gehabt. Nur zu Weihnachten war ein Geschenk von ihr eingetroffen, zusammen mit einer Karte, auf der sie schrieb, wie sehr sie mich vermisste. Heute bin ich mir sicher, dass sie das Geld sowieso nie hätte zurückhaben wollen.
Kurz nach meinem Gespräch mit Mr. Rathbun wurde Dallas plötzlich regelmäßig von seinem Arbeitsplatz fortgerufen, um Ethik-Interviews mit dem E-Meter zu absolvieren. In erster Linie versuchten sie darin sicherzustellen, dass wir nicht die Grenze zu einem Out 2D überschritten. Einmal erhielt Dallas ein Roll Back , eine Auditing-Sitzung, in der die Quellen für »feindliche Propagandalinien« aufgespürt werden sollen. Unter einer feindlichen Propagandalinie wird bei Scientology jede Art von Kritik an der Church oder ihren Unterabteilungen verstanden. Dallas musste Fragen beantworten, die aufdecken sollten, warum er mich tatsächlich heiratete. »Was hat Sie auf die Idee gebracht, Jenna zu heiraten?«, wollte der Auditor von ihm wissen.
Die Anwendung eines Roll Back war in diesem Fall völlig unangebracht, da dieses Verfahren sicherlich nicht zur Klärung der Frage gedacht war, ob ein Antrag an mich eine feindliche Propagandalinie darstellte oder ob Dallas aufrichtige Absichten verfolgte. Doch die Church bemühte in ihrem Verfolgungswahn vermutlich das Roll Back, um nachzuforschen, wer Dallas beauftragt haben könnte, mich zu heiraten, in der Hoffnung, so an Informationen über meine Familie heranzukommen oder irgendwas in dieser Richtung. Auf jeden Fall hätte man ihm das alles niemals angetan, wenn ich nicht eine Miscavige wäre.
Auch ich wurde einem Roll Back unterzogen. Die Church schien daran interessiert zu sein, uns irgendetwas anzuhängen. Mutmaßungen über ein mögliches Out 2D gab es immer, wenn Leute begannen miteinander zu gehen, aber bei uns war die Sache entschieden schärfer. Ich wusste nicht mit Sicherheit, wer hinter dem Versuch steckte, unsere Hochzeitspläne zu beeinträchtigen, und ich wusste auch nicht, warum. Aber wer außer Onkel Dave und Tante Shelly kam dafür überhaupt in Frage? Am meisten ärgerte ich mich über die Tatsache, dass sie vor allem Dallas in die Mangel nahmen, wahrscheinlich weil er nicht so viele Security-Checks über sich hatte ergehen lassen müssen wie ich und sie deshalb dachten, er wäre leichter zu knacken.
Monate vergingen. Immer wieder erkundigte ich mich, wann wir heiraten dürften, ohne eine Antwort zu bekommen. Dallas war genauso frustriert wie ich, aber es gab offenbar kaum Möglichkeiten, die Sache zu beschleunigen. Schließlich schickte mir Tante Shelly einen Brief, in dem sie mir versicherte, wie sehr sie sich über meine Heiratspläne freute, und mich gleichzeitig davor warnte, Dummheiten zu begehen und ein Out 2D zu riskieren. Sie sagte, Linda vom Office of Special Affairs würde mich auf dem Laufenden halten, wann eine Heirat zwischen Dallas und mir möglich wäre. Ich war so genervt, dass ich Linda selbst ansprach. Ihrer Aussage zufolge war die Handhabung von Dallas’ Onkel äußerst schwierig und zeitraubend. Bislang hätte es keinerlei Fortschritte gegeben, und daran würde sich auch vermutlich noch eine ganze Weile lang nichts ändern.
Ich hatte nicht die geringste Idee, was sie mit der »Handhabung von Dallas’ Onkel« meinte. Viel ausrichten konnten sie bei ihm ohnehin nicht. Ich glaubte nicht einmal daran, dass eine Randfigur wie er die Hochzeit tatsächlich aufhalten konnte. Die Eltern von Dallas besaßen als großzügige Spender und als erfolgreiche Verbreiter von Scientology hohes Ansehen in der Kirche. Das Gewicht eines eventuell widerspenstigen Onkels sollte das allemal aufwiegen. Man hätte in jeder Familie einen Verwandten aufstöbern können, der Scientology gegenüber in irgendeiner Weise kritisch eingestellt war oder schon einmal eine Anti-Scientology-Website besucht hatte. Die ganze Sache war völlig abwegig. Schließlich waren meine Eltern diejenigen, die sich von Scientology abgewandt hatten, und dennoch kreisten alle Einwände gegen eine Hochzeit stets um den Punkt,
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