Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
Doch mich beschäftigte allein die Vorstellung, dass ich Dallas wahrscheinlich nie wiedersehen würde, wenn ich nicht rasch seinen Aufenthaltsort herausfand.
Mich überkamen Wut und panische Angst. Die Verhaltensregeln und Grundsätze der Sea Org verlangten von mir in solch ernsten Zeiten, nur ruhig sitzen zu bleiben und zu tun, was mir befohlen wurde, aber das konnte ich einfach nicht.
»Verdammte Scheiße, wo steckt er?«, fuhr ich Mr. H an.
Sie erschrak und erklärte, es nicht zu wissen. »Bullshit!«, schrie ich sie ohne Rücksicht auf meine Wortwahl an und stürmte aus ihrem Büro. Ich begann, nach ihm zu suchen, und riss jede Tür auf dem Flur auf. Anschließend ging ich nach unten, sah im Bus nach und fragte all seine Bekannten, denen ich unterwegs begegnete, ob sie ihn gesehen hatten. Keiner wusste etwas. Irgendjemand folgte mir die ganze Zeit und rief mir nach aufzuhören, aber ich suchte jeden Raum in dem gesamten HGB nach ihm ab.
Ich lief die zwei Meilen zum Hollywood Inn, doch dort fand ich ihn auch nicht. Wieder einmal drohte mein Leben in einen Scherbenhaufen zu zerfallen. Doch diesmal wollte ich es unter gar keinen Umständen zulassen. Der Sicherheitsmann des Hollywood Inn richtete mir aus, ich würde im Büro neben der Lobby am Telefon erwartet. In der Hoffnung, es wäre Dallas, rannte ich hinunter, traf dort aber nur Mr. Rathbun an, der mit ernster Miene auf mich wartete. Eine Sekunde lang war es mir peinlich, dass der zweitwichtigste Vertreter der Church herkommen und sich mit mir und meinem Out 2D beschäftigen musste, aber ich hatte genug davon, mich ständig nur nach dem RTC zu richten. Sie hatten mir mein ganzes Leben versaut. Ich wollte nichts weiter als die Erlaubnis zum Heiraten und einen Job in der Sea Org, der meinen Qualifikationen entsprach und nicht von der Stellung meines Onkels abhing. Ich hatte keine Lust mehr, wegen meines Nachnamens und der vom Verfolgungswahn getriebenen PR der Church ständig Security-Checks über mich ergehen lassen zu müssen. Andere Leute in meiner Situation wären entweder drin oder draußen gewesen, von ihren Familien abgeschnitten oder nicht. Ich hing permanent irgendwo dazwischen, was mich völlig verrückt machte. Mr. Rathbun versuchte, mich zum Hinsetzen zu bewegen.
»Jenna, ich habe gehört, was passiert ist«, sagte er. Die Scham über den Vorfall sollte mich unterwürfig machen. »Du musst jetzt unbedingt ins Reine kommen.«
Ganz offensichtlich interpretierte er mein Verhalten als Wildes-Tier-Reaktion , das bekannteste Symptom für ein unentdeckt gebliebenes Withhold. Zweifellos glaubte er, mich beruhigen zu können, indem ich ihm alles offenbarte. Ich fühlte mich jedoch gerade ganz und gar nicht dazu in der Stimmung. Ich wollte einfach nur wissen, wo Dallas war.
»Man kümmert sich um ihn«, mehr verriet er mir nicht. Ich hatte keinen Bock auf seine Psychospielchen und drängte mich an ihm vorbei aus dem Büro.
Inzwischen war es dunkel geworden. Ich lief die zwei Meilen zum HGB wieder zurück, um meine Suche nach Dallas fortzusetzen. Während ich noch den Bürgersteig entlangstürmte, hörte ich das Geräusch eines langsamer werdenden Motors hinter mir und dann die Stimme von Mr. Rathbun, der mich anbrüllte, ich solle gefälligst einsteigen. Wir müssten uns unterhalten. Nach einer Weile hatte er mich überredet einzusteigen, da ich dachte, er wolle mir sagen, wo Dallas war.
Mr. Rathbun ließ sich noch eine Weile darüber aus, wie unbegreiflich es war, dass die ganze Sache so aus dem Ruder gelaufen sei. Jetzt allerdings blieb ihm, wie er sagte, nichts anderes mehr übrig, als Tante Shelly und Onkel Dave von meinen Taten in Kenntnis zu setzen. Ich fand es unfassbar, für wie naiv er mich hielt. Wie konnte er glauben, ich wüsste nicht, dass sie bereits über alles informiert waren? Ich legte mich aber nicht mit ihm an, sondern erklärte nur, dass ich nicht verstehen würde, was die Sache hier mit ihnen zu tun hätte. Kein anderes Sea Org-Mitglied wurde so wie ich Kontrollen und Überprüfungen unterworfen.
Mr. Rathbun stimmte mir zu. Er schwankte unverkennbar zwischen dem Gefühl, mich zusammenstauchen zu müssen, dem Verständnis für meine Situation und einer gewissen Sympathie, insgesamt also eine Haltung, die der von Mr. H sehr ähnelte. Er fuhr den Mulholland Drive hinauf, bis er den Wagen schließlich an einem Aussichtspunkt parkte und wir ausstiegen. Ich war zum ersten Mal hier oben auf dieser Straße. Anscheinend glaubte Mr.
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