Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
Bestandteil bei der Bewertung von uns als Menschen. Nach LRH gab es zwölf dem Wert nach abgestufte Zustände, und alle Scientologen waren stets bemüht, ihren Zustand zu verbessern, da dies unweigerlich zu größerem Glück und Wohlstand und einem besseren Leben führte. Jeder begann im Zustand der ›Nichtexistenz‹ und konnte über die zwölf einzelnen Stufen seinen Zustand und somit auch sein Wohlbefinden steigern.
Die Ethik-Zustände waren, in absteigender Reihenfolge:
Macht
Machtwechsel
Überfluss
Normal
Notlage
Gefahr
Nichtexistenz
Belastung
Zweifel
Feind
Verrat
Verwirrung
Jeder Zustand unter ›Nichtexistenz‹ wurde als niedrig eingestuft und mit entsprechenden Strafmaßnahmen behandelt. »Niedriger Ethik-Zustand« hieß, dass man sich gegen die Gruppe gestellt, ihre Regeln verletzt hatte und korrigiert werden musste. Das geschah häufig durch Demütigungen. Zum Beispiel erhielt man nur Bohnen und Reis zu essen, wurde von den Org Awards ausgeschlossen und bekam seine Privilegien entzogen oder reduziert. Allerdings konnte ein niedriger Ethik-Zustand auch selbst eine Strafe sein: Hatte man etwas falsch gemacht, konnte man als Strafe dafür in einen niedrigeren Zustand versetzt werden und musste sich wieder hocharbeiten. Alles konnte einen in einen niedrigeren Ethik-Zustand versetzen, ob man nun Widerworte gab, ungehorsam war oder auch nur seinen Schlüssel verlor.
Als MLO musste ich meine wöchentlichen Leistungen in eine Karte eintragen. Bei Verbesserungen auf meinem Posten verbesserte sich auch mein Ethik-Zustand. Wenn viele Kinder krank wurden, ging meine Leistungskurve nach unten, was ich wiedergutmachen musste, indem ich mich in den Ethik-Zustand ›Gefahr‹ eintrug. Die Ethik-Zustände konnten in den einzelnen Aufgabenbereichen variieren. Zum Beispiel war es möglich, dass man bei seinen Finanzen in ›Zweifel‹ war, bei seiner Gesundheit aber in ›Überfluss‹.
Für mich als Siebenjährige war die Erstellung all dieser Listen und Diagramme lächerlich und bedeutungslos. Ich war keine Perfektionistin, und Details interessierten mich kaum. Rückblickend kann ich fast nicht glauben, dass all das von uns erwartet wurde. Die Analyse dieser vielen Zahlen war nicht nur ermüdend, sondern auch unglaublich zeitaufwendig. Es zwang uns, all unsere Konzentration auf Zahlen und Formulare zu richten, ohne deren Bedeutung wirklich ermessen zu können. Wir mussten uns die Ergebnisse ansehen, Schlussfolgerungen ziehen und den vorgeschriebenen nächsten Schritten folgen. All diese Arbeit mit Zahlen, Statistiken und Trends war eine wesentliche Übung für unser Leben als erwachsene Scientologen. Je mehr wir uns daran gewöhnten, jede Woche unser Leben zu quantifizieren, desto weniger Schwierigkeiten würden wir in der Zukunft damit haben.
Zu den Thursday Basics gehörten aber auch die wöchentlichen E-Meter-Checks, die sich von denen unserer Schulstunden unterschieden. Während dieser Checks mussten wir uns in einer Reihe aufstellen, und dann setzte sich einer nach dem anderen mit den Dosen in der Hand hin. Aber im Gegensatz zu unseren täglichen Checks wurden keine Fragen gestellt. Der Prüfer des E-Meters, immer ein Erwachsener, beobachtete einfach den Ausschlag der Nadel und befand dann auf ›sauber‹, ›schmutzig‹, ›bestanden‹ oder ›durchgefallen‹. Wenn die Nadel gleichmäßig ausschlug, war sie ›sauber‹ oder ›fließend‹, und man hatte bestanden. Ich versuchte oft, nur an Schönes zu denken, um die Prüfung zu bestehen, erfuhr aber das Ergebnis immer erst später am Abend, wenn es vor der Gruppe vorgelesen wurde.
Wenn wir durchfielen, mussten wir eine O/W-Aufstellung anfertigen. O/W war die Abkürzung für Overts und Withholds – Offenes und Verdecktes –, was im Grunde nichts anderes bedeutete als Sünden und Geheimnisse. Overts waren Sünden oder Missetaten, während Withholds all das umfasste, was man zu verbergen versuchte. Also mussten wir im Grunde unsere Sünden beichten. Die Vorgaben dazu waren sehr präzise: Zuerst schrieben wir auf, was wir falsch gemacht hatten, dann wurden Zeit, Ort, Art und Weise und die Gelegenheit angegeben. Wir mussten so lange schreiben, bis alles gebeichtet war und wir uns besser fühlten. Danach bekamen wir einen weiteren Meter-Check. Bei diesem Mal aber wurden wir gefragt: »Ist diese O/W-Aufstellung vollständig, oder wurde etwas ausgelassen?« Wenn wir wieder durchfielen, mussten wir weiterschreiben, und zwar so lange, bis unsere
Weitere Kostenlose Bücher