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Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)

Titel: Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenna Miscavige Hill , Lisa Pulitzer
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TR s, mit denen man seine Kommunikationsfähigkeiten perfektionieren sollte. Es gab eine Abfolge von TR -0 bis TR -4. Ziel dieser TR s war es, verschiedene Kommunikationstechniken zu isolieren und zu üben. Manche waren lange, praktische Übungen, um besser mit Abwehr und Ablenkung zurechtzukommen.
    Bei den TR s übten wir paarweise mit unserem Zwilling . Bei der TR -0 mussten wir uns einander gegenübersetzen, und zwar so nah, dass wir uns fast mit den Knien berührten. Einer von uns war der Trainer, der andere der Schüler. Dann mussten wir uns ansehen, bis wir dabei keinerlei Unbehagen mehr empfanden, und durften uns nicht bewegen, nicht übermäßig blinzeln, nicht lächeln und nicht den Blick abwenden, sondern einfach nur den anderen anstarren. Vorgeblich war das Ziel, jemand anderen ohne Angst direkt anzusehen, aber in Wahrheit fühlte es sich wie ein Wettkampf an, wer länger den anderen anstarren konnte. Irgendwann geriet man in eine hypnoseähnliche Trance, bei der mein Partner immer vor meinen Augen verschwamm.
    Als Nächstes kam TR -0 mit Provokationen , die weitaus schwierigste Übung. Wieder saßen wir einander gegenüber, aber statt uns wortlos anzustarren, mussten wir uns anhören, dass der Trainer sich über uns lustig machte und uns beleidigte. Ganz gleich, was gesagt wurde, wir durften nicht eine Miene verziehen. Die anderen Kinder im Kursraum hörten natürlich alles und lachten, wodurch es fast unmöglich war, die Konzentration aufrechtzuerhalten. Ziel dieser Trainingsroutine war es, nicht zu reagieren, allerdings verstand ich nie, warum es so wichtig war, nicht über Witze zu lachen. Manchmal war es schwer, ungerührt zu bleiben, ganz zu schweigen davon, nicht zu lachen.
    Seltsamerweise war Alice im Wunderland ein wichtiger Bestandteil von TR -1 und TR -2. In TR -1, die Liebe Alice genannt wurde, lasen wir laut Passagen aus Lewis Carrolls Alice im Wunderland vor, um zu üben, uns verständlich zu machen, ohne überdeutlich oder undeutlich zu sprechen. Unser Zwilling hatte die Aufgabe, bei jedem Fehler »Durchgefallen« zu sagen. TR -2 war eine Erweiterung von Liebe Alice . Bei dieser Übung las einer willkürlich ausgewählte Passsagen aus Alice im Wunderland vor, während der andere nach jeder Passage »gut« oder »danke« sagte, zum Zeichen, dass er ihn verstanden hatte. Diese Bestätigung war wichtig, denn so zeigten Auditoren Preclears in einer Sitzung, dass sie ihnen folgen konnten.
    Damals fand ich die Übungen nicht seltsam. Erst im Rückblick kommen sie mir bizarr vor. TR -3 befasste sich mit der Technik, auf Fragen passende Antworten zu bekommen. Der Schüler stellte normale Fragen wie »Können Vögel fliegen?« oder »Können Fische schwimmen?«, und der Trainer sollte den Schüler ablenken, indem er vorsätzlich etwas Zusammenhangloses antwortete wie »Tja, Hunde können es jedenfalls« oder »Mir ist kalt«, um den Schüler zu zwingen, die Frage zu wiederholen. Die ganze Übung kreiste so lange um sich selbst, bis der Trainer beschloss, die korrekte Antwort zu geben.
    TR -4 galt der Übung, unseren Zwilling dazu zu bringen, beim Thema zu bleiben. Wir fragten zum Beispiel wieder »Können Vögel fliegen?«, doch unser Zwilling sollte die Frage nicht beantworten, sondern irgendetwas anderes sagen wie zum Beispiel: »Ich brauche ein Taschentuch.« Dann sagte man: »Ist gut, hier bitte«, und gab ihm ein Taschentuch, um sofort darauf auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen. »Ich frage noch einmal: Können Vögel fliegen?« und so weiter.
    Alle TR s waren von Wiederholungen geprägt und sollten uns lehren, Kommunikation zu kontrollieren. Ich glaubte wirklich, das Ziel wäre es, unsere kommunikativen Fähigkeiten zu trainieren, aber die ewigen Wiederholungen hatten in vielerlei Hinsicht den entgegengesetzten Effekt. Mit der Zeit fühlte ich mich gezwungen, mein Gegenüber immer direkt anzusehen und ihm ständig zu bestätigen, dass ich gehört hatte, was er sagte. Tatsächlich bekam ich durch die TR s das Gefühl, es wäre falsch, zu reagieren oder meine Gefühle auszudrücken. Wenn wir uns im Alltag über etwas oder jemanden aufregten, hieß es immer: »Du musst die TR s üben.« Ich sollte ständig Kontrolle über meine Gefühle haben, und die Kurse halfen mir dabei, auch wenn ich dadurch meine Gefühle unterdrückte.
    Obwohl die TR s dafür sorgten, dass unsere Interaktionen immer gleichförmiger wurden, waren die Erwachsenen auf der Ranch eindeutig überzeugt, wir würden

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