Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
was bei Scientology als richtig oder ethisch betrachtet wurde: Bei mir hatte Freundschaft Vorrang vor allem. Ich brachte es einfach nicht über mich, Freunde zu verraten.
KAPITEL 12
Zurück zur Flag
Im Frühjahr 1995, ich war elf Jahre alt, teilte meine Mom mir mit, dass ich noch mal nach Florida müsse, um meinen Key to Life-Kurs zu wiederholen. Sie meinte, da die Verantwortlichen dort mich nicht ordnungsgemäß durch den Kurs gebracht hätten, müssten sie es jetzt wiedergutmachen. Das Ganze war mir sehr peinlich. Ich hatte Angst, Nikki wäre wegen meiner falschen Meter-Checks wütend auf mich, aber dem würde ich mich stellen, wenn ich erst einmal in Clearwater war.
Bei meiner Ankunft fielen mir einige Veränderungen auf: Sharni arbeitete nicht mehr für Mom, sondern als Köchin im Hibiscus. Es schien ihr sehr zu gefallen, obwohl sie auch meinte, sie vermisse es, mit mir zusammen zu sein. Jetzt sollte Valeska sich um mich kümmern. Außerdem war sie mein neuer Zwilling im Key to Life-Kurs.
Dazu kam, dass Mom einen neuen männlichen Mitarbeiter hatte, mit dem sie scheinbar viel Zeit verbrachte. Er hieß Don Jason und war die rechte Hand des Captains der Flag Service Organization, also ein wichtiger Mann. Er sah gut aus, hatte kurze, blonde Haare und hellblaue Augen. Seine Frau Pilar war ebenfalls eine Führungskraft und arbeitete in Moms Büro. Don leistete uns manchmal beim Essen Gesellschaft, und Mom sprach oft von ihm.
Als ich an meinem ersten Tag im Kursraum auftauchte, war ich wegen Nikki etwas nervös, aber zu meiner Erleichterung machte sie kein großes Aufheben. Ich freundete mich mit einem riesigen Kerl namens Buster und seinem Zwilling Jason an, den ich ziemlich süß fand. Während wir darauf warteten, aufgerufen zu werden, spielten Valeska, Buster, Jason und ich immer Twenty Questions.
Nach dem Kurs fuhren Valeska und ich mit dem Bus nach Hause. Dann gingen wir schwimmen, nahmen alberne Videos auf oder schminkten uns. Manchmal half ich Valeska bei der Arbeit und kümmerte mich um die Wäsche und die Snacks. Dann erzählte sie mir Geschichten aus ihrer Kindheit. Sie kam aus der Schweiz, und als sie noch klein war, wollte ihr Vater zur Sea Org in England, aber ihre Mutter war dagegen. Trotzdem beschloss die Familie, von der Schweiz nach England umzuziehen. Als sie während der Fahrt eine Rast machten, verließ ihre Mutter den Wagen und verkündete, sie würde Kaffee holen, kam aber nie zurück.
Eine grauenhafte Geschichte. So genau hatte mir noch niemand von seinen Schwierigkeiten in der Familie erzählt. Auf der Ranch kannte ich zwar ein paar Kinder, bei denen ein Elternteil Probleme verursachte und daher nie besucht wurde, aber damals hatte ich an solche Geschichten kaum einen Gedanken verschwendet. Trotzdem kam mir Valeskas Geschichte glaubwürdig vor. Wenn ihre Mutter nicht wie ihr Vater zur Sea Org wollte, dann konnten sie einfach nicht zusammenbleiben. Allerdings war die Vorstellung, das könnte mit jemandem passieren, der mir nahestand, so grauenhaft, dass ich meiner Mutter abends von der Geschichte erzählen musste. Doch sie sagte nur, dass das nicht wahr sein könne. Ich dachte, sie hätte mir vielleicht nicht richtig zugehört, aber da lag ich falsch. Am nächsten Abend vor dem Schlafengehen sagte sie: »Okay, heute keine traurigen Geschichten.«
Wir redeten nur selten über Schwieriges oder Trauriges. Eines Tages in der Küche ihres Büros sagte sie mir plötzlich und ohne jede Vorwarnung:
»Nur, damit du es weißt: Grandma Janna hat ihren Körper verlassen.« Dabei klang sie nur leicht bedrückt.
Ich hatte nicht mal gewusst, dass Grandma krank gewesen war, allerdings hatte ich sie mit fünf das letzte Mal gesehen. Ein paar Monate zuvor hatte ich ihr eine Weihnachtskarte geschickt, aber offenbar an die falsche Adresse, denn sie kam zurück.
»Ach, Mist!«, sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Bei Scientology gab es kein spezifisches Verhaltensmuster oder Ritual bei Trauerfällen. Viele ließen sich verbrennen, weil LRH das auch getan hatte. Normalerweise gab es eine sehr sentimentale Anzeige mit allen guten Taten, die der Verstorbene vollbracht hatte. Wenn er ein Sea Org-Mitglied gewesen war, hieß es normalerweise, er hätte eine zwanzigjährige Freistellung von seinem Eine-Milliarde-Jahre-Vertrag bekommen, damit er sich einen neuen Körper suchen und wieder zurückkehren könnte. Normalerweise gab es auch eine Trauerfeier, aber ich hatte noch keine erlebt. Ich war zwar
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