Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
wusste ich, aber ich glaubte nicht, Zwangsarbeit als Strafe verdient zu haben. Einen niedrigeren Ethikzustand vielleicht, aber keine schwere körperliche Arbeit. Ich hatte das Bittgesuch an Tante Shelly in gutem Willen verfasst. Ich hatte zudem meinem Auditor von der Freundschaft mit Martino berichtet, und sie hatte mir versichert, ich würde mich korrekt verhalten. Dennoch wurde ich so hart bestraft.
Mayra versuchte, mich umzustimmen, und sagte, dass sie meine Gefühle gut nachempfinden könne, aber ich blieb bockig. Inzwischen war es Abend geworden. Ich hatte Angst und fürchtete mich vor dem, was mit mir geschehen würde, lenkte jedoch nicht ein. Ich wollte meinen Dad anrufen. Natürlich war ein solcher Anruf nicht der beste Weg, um mit meiner Verärgerung umzugehen, aber nachdem ich von Martino gehört hatte, was für eine wichtige Rolle seine Mom in seinem Leben spielte, hielt ich es für einen Versuch wert, mich an meinen Vater zu wenden und zu sehen, ob er helfen konnte. Wobei es weder zum Aufgabenbereich meines Dads noch meiner Mom gehörte, sich um mich zu kümmern. Alle diesbezüglichen Fragen hatten sich an Org-Richtlinien zu orientieren. Darüber hinaus konnte mein Anruf als aufwühlende Störung meiner Eltern bei deren Arbeit betrachtet werden, was mir weiteren Ärger einbringen würde. Bei Verstimmungen sollte ich eigentlich einen Bericht verfassen, der dann entweder als »geschwätzig« oder als »lamentierend« betrachtet wurde, was bedeutete, ich hätte Withholds, was wiederum hieß, dass ich einen Security-Check über mich ergehen lassen müsste, was letzten Endes sowieso geschehen würde. So sah der Kreislauf aus, die endlose Rückkoppelungsschleife bei Ungehorsam, die, einmal in Gang gesetzt, kaum zu durchbrechen war.
Dieser ewige Kreislauf oder dessen Konsequenzen kümmerten mich in diesem Moment allerdings wenig, denn am meisten fürchtete ich mich davor, von Tom ins RPF geschickt zu werden und meine Eltern schon bald überhaupt nicht mehr kontaktieren zu können. Mein Dad war derjenige, der am ehesten Rat für mich wusste und der mir vielleicht sogar beistehen würde.
Unser Apartment verfügte über ein genehmigtes Telefon, für dessen Gebrauch allein eine meiner Mitbewohnerinnen autorisiert war. Es sollte ihr ermöglichen, bei einem nächtlichen Fluchtversuch den Sicherheitsdienst zu verständigen. Ich nahm den Hörer und rief die Vermittlung der CMO Int an. Zu meiner freudigen Verblüffung meldete sich tatsächlich jemand, doch dann erhielt ich leider die Auskunft, dass mein Vater nicht im Haus war. Allerdings erklärte die Frau in der Vermittlung, ich könne mit meiner Mutter sprechen, was mich vollends in Verwirrung stürzte. Meiner letzten Information nach war sie noch im RPF . Die Zentrale ließ mich kurz warten, bevor sie mir mitteilte, dass meine Mutter zurzeit nicht erreichbar war, ich es aber gerne in Kürze noch einmal versuchen könne. In all der Panik war ich für einen winzigen Augenblick wie vor den Kopf geschlagen. Warum hatte es nach allem, was wir durchgemacht hatten, niemand für nötig befunden, mir zu sagen, dass sie aus dem RPF war?
Kurz darauf versuchte ich erneut anzurufen, doch diesmal bemerkte Mayra mich. Sofort rannte sie los und holte Olivia. Dass sie mich verpfiff, wunderte mich nicht. Auch wenn wir beide derzeit mit Strafen belegt waren, so konnten wir doch Wiedergutmachung leisten, indem wir das Fehlverhalten der anderen meldeten und so unsere Loyalität bewiesen. Dies ist eine Methode, mit der die Sea Org ihre Mitglieder zum gegenseitigen Anschwärzen ermuntert und das Misstrauen hochhält.
»Du kannst deine Eltern nicht anrufen«, sagte Olivia, als sie den Raum betrat.
»Fick dich«, schoss ich zurück, ohne mir länger Gedanken um die Folgen zu machen. Ich ergriff wieder den Hörer, doch sie hielt die Trenntaste gedrückt. Sosehr ich mich bemühte, sie ließ nicht los.
»Na schön, dann geh ich zu den Münztelefonen.« Ich wandte mich zur Tür, aber Olivia versperrte mir den Weg. Ich versuchte, mich mit Gewalt an ihr vorbeizuschieben, doch Mayra eilte ihr zu Hilfe und hielt mich fest.
»Sorry, Jenna, das kann ich nicht zulassen«, erklärte Mayra entschuldigend. Ich riss mich ohne große Probleme von den beiden los.
Ein Mädchen aus dem Nebenzimmer tauchte auf und beteiligte sich daran, mich aufzuhalten, wobei sie schrie, wie unethisch ich mich doch aufführte. Sie hielten mich an Armen und Beinen gepackt, während ich mich mit aller Kraft zu befreien
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