Mein Geheimnis bist du
fühlte einen leisen Stich der Enttäuschung, weil Mareike sie lediglich als Kollegin vorstellte. Natürlich stimmte es, sie waren Kolleginnen. Aber doch wohl noch etwas mehr. Hatte Mareike das vergessen?
Laura musterte Andrea neugierig. »Kollegin? Das sah eben aber ganz anders aus.«
»Dinge sehen oft anders aus, als sie sind«, erwiderte Mareike langsam. Unüberhörbar schwang ein vorwurfsvoller Unterton in ihrer Stimme. Es folgte Schweigen. Doch Mareikes und Lauras Blicke sprachen miteinander. Über Dinge, die vergangen, aber nicht vergessen waren.
Schließlich lächelte Laura. »Ich habe trotzdem immer gehofft, du würdest dich mal melden. . . . Wie geht es dir?«
»Gut. Sehr gut.«
»Immer noch im Bankgeschäft?«
»Ja.«
Laura ließ sich von Mareikes Wortkargheit nicht abschrecken. »Schwieriges Pflaster, jetzt in der großen Finanzkrise, was?«
»Mit Marktschwankungen muss man immer rechnen. Wir kommen ganz gut zurecht.«
»Das freut mich.«
Andrea verfolgte das Gespräch zwischen den beiden. Anfangs schleppte es sich eher träge dahin. Doch irgendwie schaffte Laura es nach einigen Minuten, Mareikes Zurückhaltung zu durchbrechen. Bald lachten sie über alte Geschichten, die sie gemeinsam erlebt hatten. Es war nicht so sehr, was sie sagten, sondern wie sie es sagten, wie jede mühelos die Sätze der anderen beenden konnte, was Andrea zeigte, dass die beiden einmal sehr vertraut miteinander waren.
Laura forderte Mareike zum Tanz auf. Andrea fiel auf, wie perfekt die Bewegungen der beiden beim Tanz aufeinander abgestimmt waren. Offenbar verband sie einmal etwas, was Worte überflüssig werden ließ. Einen Teil dieser Harmonie strahlten sie immer noch aus.
Plötzlich machte es Klick in Andreas Kopf. Sie erinnerte sich. Laura war die Frau von dem Bild in Mareikes Bücherregal.
Als Mareike wieder zum Tisch zurückkam, allein, war sie sehr still. Ihr Blick suchte immer wieder Laura, die sich jetzt an einem der anderen Tische mit einem älteren Herren unterhielt.
Mareikes Bruder gesellte sich zu ihnen. »Mutter steht kurz vor der Ohnmacht.« Vorwurfsvoll schaute er seine Schwester an. »Musste das sein?«
Mareike winkte ab. »Bernd, bitte. Du nicht auch noch! Ich habe im Moment wirklich keinen Nerv dafür.«
»Ich habe gesehen, dass du mit Laura gesprochen hast.«
»Ja.«
»Ist alles in Ordnung . . . zwischen euch?«
»Aber ja.« Mareike stand auf, zog ihren Bruder ein Stück mit sich zur Seite. Offensichtlich gab es zwischen Laura und Mareike eine Sache, von der auch Bernd wusste und welche die Freundschaft der drei belastete. Eine Sache, welche Mareike, ihrer Reaktion nach zu urteilen, immer noch sehr nahe ging und die sie gern für sich behalten wollte. Beziehungsweise im Kreise der drei Personen, die eingeweiht waren.
Später am Abend, Andrea tanzte gerade mit Onkel Max, sah sie, wie Mareike und Laura etwas abseits beieinander standen. Laura streichelte verstohlen Mareikes Wange. Mareikes Gesicht überzog ein wehmütiger Ausdruck.
Mit einem Mal wurde Andrea klar, woher diese Harmonie zwischen den beiden rührte und was zwischen Laura und Mareike scheinbar immer noch nicht ganz vorbei war. Jedenfalls nicht für Mareike. Für sie war das hier ein Wiedersehen, das eine alte Wunde aufbrach. Eine sehr tiefsitzende Wunde. »Die beiden sind ein schönes Paar.« Onkel Max war Andreas Blicken zu Mareike und Laura gefolgt.
Andrea nickte automatisch.
»Schade, dass Laura damals nach New York ging. Mareike hatte schwer damit zu tun, darüber hinwegzukommen.«
»Wann war das?«
»Gleich nach dem Studium. Vor fast zwanzig Jahren.«
Zwanzig Jahre, und immer noch ging Mareike die Sache so nah? Andrea war betroffen. »Warum ging Mareike nicht mit?«
»Laura wollte es nicht. Für sie stand die Karriere an erster Stelle. Sie meinte, Mareike würde sie zu sehr ablenken.«
»Oh.«
»Laura blieb fünf Jahre weg. Bei ihrer Rückkehr war Mareike liiert. Es genügte Lauras bloße Anwesenheit, um die Beziehung zerbröckeln zu lassen. Mareike wandte sich wieder Laura zu. Leider vergaß Laura, Mareike darüber aufzuklären, dass ihre Rückkehr nur von begrenzter Dauer war. Ein halbes Jahr später ging sie wieder weg. Wieder ohne Mareike.«
»Aber . . . Mareike scheint immer noch . . .«
»Sie kommt einfach nicht von Laura los. Immer, wenn sie auftaucht, ignoriert Mareike alle schlechten Erfahrungen, die sie mit Laura schon gemacht hat, redet sich ein, dass es diesmal anders wird. Warum glaubst du,
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