Mein Geheimnis bist du
Dabei konnte sie sich die Frage gleich selbst beantworten. Natürlich ist nicht alles in Ordnung. Doch sie fragte auch nicht wegen der Antwort, sondern sie wollte Mareike das Gefühl geben, dass jemand da war, der sich um sie sorgte. Ein: Du bist nicht allein, auch wenn es dir jetzt so vorkommt.
»Ja, alles in Ordnung«, lautete die Antwort, von der Andrea nur zu gut wusste, dass sie wahrheitsferner kaum sein konnte. In Ordnung beschrieb Mareikes momentane Verfassung ganz sicher falsch. Abgesehen von der erneuten Enttäuschung, fühlte Mareike sich wahrscheinlich auch gedemütigt. Sie war bereit gewesen, alles aufzugeben, hatte die Brücken hinter sich abgebrochen und stand nun, wie man so schön sagte, im Regen. Ihre Stelle in der Bank war zwar noch nicht neu besetzt, aber wie sah das aus, wenn sie Brennicke bat, die Kündigung als nichtig zu betrachten, nachdem sie gerade verkündet hatte, dass ihr Entschluss, zu gehen, unumstößlich feststand . . .
Das Klingeln des Telefons riss Andrea aus dem Nichts. Schlaftrunken griff sie zum Hörer. »Ihr Weckruf«, vermeldete eine frische weibliche Stimme.
»Danke.« Andrea legte auf und sank zurück.
Mareikes Seite des Bettes war leer. Im Bad lief die Dusche.
Stand Mareike immer so früh auf, oder . . . sicher hatte sie schlecht geschlafen. Alles andere wäre verwunderlich.
Andrea setzte sich auf. Du musst sehr behutsam mit ihr sein, ihr so viel wie möglich abnehmen. Gut, dass sie die wichtigen Termine schon gestern hatten. Heute und morgen würden sie hauptsächlich Kunden besuchen, um Sondierungsgespräche zu führen, keine Vertragsverhandlungen. Da fiel es nicht auf, wenn Mareike nicht in Topform war.
Beim Frühstück wirkte Mareike für Andreas Empfinden jedoch überraschend gelassen. Mareike machte den Plan für den Tag und sogar ein paar Scherze zwischendurch. Andrea freute sich natürlich, dass es Mareike besser ging als angenommen. Sie hoffte nur, dass dies nicht alles aufgetragen war, das Resultat auferlegter Beherrschung. Die musste zwangsweise irgendwann zusammenbrechen. Und was war dann?
Die Kundenbesuche verliefen ähnlich erfolgreich wie am Vortag. Mareike bot sich in ihren Präsentationen sicher, phasenweise regelrecht mitreißend dar. Andrea kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Mareike hatte sich wirklich unglaublich gut im Griff. Beinahe beängstigend.
Im Anschluss an ihren Terminen aßen sie unterwegs zu Abend. Zurück im Hotel, fragte Mareike aufgeräumt: »Lust auf einen Drink in der Hotelbar?«
Was wird das? , fragte Andrea sich zunehmend beunruhigt. Mareike musste am Boden zerstört sein.
Andrea konnte ja verstehen, wenn Mareike nicht über Lauras Mail sprach. Sie machte es eben lieber mit sich aus. Okay. Aber so? Das war ihr irgendwie unheimlich.
»Also?«, fragte Mareike. »Was ist?«
»Wir müssen morgen fit sein«, gab Andrea zu bedenken.
»Ein Drink wird uns ja nicht umbringen.«
»Nein, sicher nicht.«
Mareike lenkte sich ab, fand Andrea endlich eine Erklärung. Sie kompensierte. Über kompensierte. Ja, das war es. Mareike verdrängte Lauras Mail aus ihrer Erinnerung. Und das war nicht gut.
Aber am Ende ist es ihre Sache. Nicht deine, nicht eure – ihre.
Andrea folgte Mareike in die Bar.
»Zwei Martini«, bestellte Mareike beim Barkeeper. »Du trinkst doch Martini?«, fragte sie Andrea.
»Ja.«
»Sie können sich schon setzen«, sagte der Barkeeper. »Ich bringe Ihnen die Drinks.«
Andrea und Mareike suchten sich einen freien Tisch.
»Das war doch wieder ein erfolgreicher Tag«, meinte Mareike zufrieden. »Ich denke, wir haben Kühne für uns gewonnen.«
»Jähnke schien auch interessiert.«
»Ja, aber er ist einer dieser Kunden, die wegen einem Zehntel Prozent sofort wieder den Anbieter wechseln. Wir sollten nicht zu viel Kräfte in ihn investieren.«
Der Barkeeper brachte die Drinks.
»Wir?« Andrea lächelte. »Deine Kräfte wirst du wohl bald woanders einsetzen.«
Das ist das Stichwort, Mareike. Du kannst mir ruhig sagen, was los ist. Du hast dich doch praktisch eben verraten.
Aber Mareike lächelte lediglich zurück. »Ein kleiner Tipp für meinen Nachfolger.«
»Ich kann es ja ausrichten«, erwiderte Andrea enttäuscht. Mareike tat, als wäre alles beim Alten.
Vielleicht ist es das für sie ja auch, Andrea. Hast du schon mal daran gedacht?
Vielleicht redete Mareike sich ein, alles wäre nicht so schlimm. Dass Laura nur etwas Zeit brauchte und sich dann wieder besänne. Hoffte Mareike etwa darauf
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