Mein geliebter Ritter
erschreckt!«
Offenbar hatte Mychell etwas vergessen, was ihm gehörte, als er am Morgen ausgezogen war. Das Mädchen, das Linnet auf sieben oder acht Jahre schätzte, stieß den Truhendeckel ganz auf und kletterte heraus.
»Seid Ihr die Frau, die uns unser Haus weggenommen hat?«, fragte das Mädchen.
Was sollte sie darauf antworten? Linnet setzte sich auf den Boden und schlang die Arme um die Beine. Schließlich sagte sie: »Früher war das hier mein Haus.«
»Und war das hier auch Euer Schlafzimmer?«
Linnet nickte.
Das Mädchen legte den Kopf auf die Seite und fragte: »Wonach sucht Ihr?«
»Nach einem Spiegel aus poliertem Stahl.« Nach einer Pause fügte sie hinzu. »Er war mein einziges Erinnerungsstück an meine Mutter.« Seltsam, dass sie das Gefühl hatte, sie müsste sich vor dem kleinen Mädchen rechtfertigen.
Das Mädchen erwiderte ihren Blick und ging dann um das Bett herum auf die andere Seite.
»Ich habe ihn versteckt«, sagte sie, als ihre roten Locken aus Linnets Blickfeld verschwanden. Einen Moment später war sie wieder zu sehen; sie hielt den lange verlorenen Spiegel in der Hand.
»Danke«, flüsterte Linnet, als das Mädchen ihn ihr brachte. Sie fuhr mit den Fingerspitzen über die vertrauten Wellen des Blumenmusters auf der Rückseite, die schwarz angelaufen war.
Sie holte tief Luft, sammelte sich und versuchte ein Lächeln. »Wie heißt du?«, fragte sie das Mädchen.
»Lily.«
»Du bist ein erstaunliches Mädchen, Lily.«
»Das sagt meine Schwester auch immer.« Das strahlende Lächeln des Mädchens verblasste, und ihr Blick wich zur Seite aus. »Meine Brüder sagen andere Sachen über mich.«
»Wie viele Brüder hast du?«
»Viele.« Das Mädchen verzog das Gesicht, was Linnet auf den Gedanken brachten, dass die Jungs wohl nach ihrem Vater kamen. Das arme Ding.
Linnet griff in den Schlitz in ihrem Kleid, um eine Münze aus ihrem Beutel zu fischen. »Wie ich sehe, kannst du Sachen gut verstecken – nimm das und lass es deine Brüder nicht finden.« Und auch nicht deinen schleimigen, raffgierigen Vater. » Es ist deine Belohnung dafür, dass du mir den Spiegel wiedergegeben hast.«
Als sie Lilys Hand nahm und einen Goldflorin hineinlegte, atmete das Mädchen hörbar ein.
»Und hier ist mein Ring.« Linnet zog ihn von ihrem kleinen Finger und legte ihn in Lilys andere Hand. »Wenn du jemals in Schwierigkeiten steckst, zeig den meinem Schreiber, Master Woodley. Er sucht dann nach meinem Bruder oder mir, und einer von uns wird dir helfen.«
Lily schloss die Hand um den Ring und nickte. Eindeutig war sie ein Mädchen, das gelernt hatte, mit Schwierigkeiten umzugehen. Linnet erklärte Lily den Weg zum Zimmer ihres Schreibers und ließ ihn sich zweimal wiederholen.
»Deine Familie wird bald zurückkehren«, sagte Linnet, als sie sich erhob. »Warte unten auf mich, dann lade ich dich zu einer Fleischpastete ein, während wir auf deinen Vater warten.«
Ihr Schreiber riss die Augen auf, als Linnet das Wohnzimmer betrat, und kam mühsam auf die Beine.
»Richtet Mychell aus, dass er mich in einer Stunde treffen soll, um sich mein Angebot anzuhören«, trug sie ihm auf. »Wenn er mir gibt, was ich will, werde ich ihm die Schulden erlassen und das Haus überlassen.«
Der Schreiber legte die Hand auf die Brust, als schmerzten ihn ihre Worte. »Aber der Mann besitzt nichts mehr von Wert.«
Sie lächelte ihm zu. »Ich habe den Schemel bekommen.«
»Woher sollte ich wissen, dass diese diebische Elster sich wie ein Karnickel vermehrt hat?«, beschwerte sie sich abends bei ihrem Bruder. »Ich kann seine Frau und die Kinder nicht auf die Straße setzen.«
Sie und François entspannten sich bei einem Becher ihres besten Weins in ihrem Haus am Strand, das sie in der vergangenen Woche gekauft hatte.
»Rache zu nehmen, entpuppt sich als schwieriger, als du erwartet hast.« François hob seinen Becher und prostete ihr mit funkelnden Augen zu. »Vielleicht besitzt du jetzt genug Verstand, es Gott zu überlassen, Gerechtigkeit walten zu lassen.«
Sie lächelte ihn über den Rand ihres Bechers an. »Du kennst mich besser, als dass du das glauben könntest.«
Er stieß einen langen, gequälten Seufzer aus. »Linnet, du bist eine gute Geschäftsfrau. Wenn du es dir nicht in den Kopf gesetzt hättest, dein Geschäft für deinen Rachefeldzug zu benutzen, könntest du ein Vermögen machen.«
»Ich habe beides vor«, sagte sie. »Hier in London ist es schwierig, weil die Zünfte den Handel so
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