Mein geliebter Ritter
»Sie will Gerechtigkeit in einer Welt, die nicht gerecht ist«, sagte er nach einer Weile. »Sie möchte die Dinge wieder ins rechte Lot rücken.«
»Was war gerecht daran, mich zu benutzen, um euren Vater zu bestrafen?«, konnte Jamie nicht umhin zu fragen. »Warum hat sie mir nicht von Pomeroys Antrag erzählt und darauf vertraut, dass ich eine Lösung finde?«
François lehnte sich zurück und stieß einen langen Seufzer aus. »Die einzige Person, der sie außer mir vertraut, ist sie selbst. Sie hat die Schicksalsschläge, die uns als Kindern zugestoßen sind, schlechter verkraftet als ich: Dass unsere Mutter gestorben ist, die Missachtung durch unseren Vater, der Verlust von allen finanziellen Mitteln, als unser Großvater krank wurde. Selbst wenn sie glaubt, dass sie dir etwas bedeutet, wird sie sich nicht erlauben, sich auf dich zu verlassen.«
»Aber was ist mit meinem Onkel Stephen und Isobel?«, fragte Jamie. »Sie ist beiden eng verbunden.«
»Sie hat gelernt, ihnen zu vertrauen. Es gibt also Hoffnung für dich.« François zuckte mit einer Augenbraue. »Aber wenn ich mich recht erinnere, brauchte es damals einen Kampf auf Leben und Tod.«
»Aye, das ist richtig.« Jamie schüttelte den Kopf. Sie saßen eine Weile schweigend da, bevor er wieder das Wort ergriff. »Stephen sagt, ihr beide hättet euch wie wilde Tiere gewehrt, als er und Vater euch in Falaise fanden.«
»Ehrlich, ich weiß nicht, was mit uns passiert wäre, wenn Stephen uns nicht unter seine Fittiche genommen hätte«, sagte François. »Ich nehme an, wir wären an ein Bordell verkauft worden.«
Genau das hatte Jamies Vater auch gesagt. Jamie hasste es, sich Linnets verzweifelte Lage vorzustellen – ein atemberaubend schönes Mädchen ohne Heim und ohne Geld, nur mit einem gleichaltrigen Bruder, der sie verteidigen konnte. Es war jetzt schwer vorstellbar, aber François war in diesem Alter fast so hübsch gewesen wie seine Schwester.
François seufzte. »Ich fürchte, mein Freund, dass du dich Linnet gegenüber immer wieder beweisen musst.« Dann zwinkerte er ihm zu. »Aber sie ist es wert.«
»Das ist sie in der Tat.« Jamie stand auf.
Er war es leid zu reden, und noch mehr war er es leid, darüber nachzudenken, wie er sie manipulieren und nach seinem Willen formen konnte. Er wollte nichts weiter als bei ihr sein und sie in den Armen halten.
Es fiel ihm gerade noch ein, die Hand zum Abschiedsgruß zu heben, als er zur Tür hinausging. Es war höchste Zeit zu gehen. Er war schon viel zu lange von ihr fort.
14
Linnet schlang die Arme um Jamies Hals, sobald er durch die Tür getreten war. »Der Bischof hat dich viel zu lange aufgehalten.«
Er küsste ihre Nasenspitze. »Hast du mich vermisst?«
»Ja«, gab sie zu, denn es war längst zu spät, ihm irgendetwas vorzumachen.
»Ich habe dich mehr vermisst«, sagte Jamie. Dann gab er ihr einen Kuss, der dazu führte, dass sich ihre Nackenhaare sträubten und dass sie ihm beinahe glaubte.
Sie schmiegte die Wange an seinen Brustkorb und seufzte, als er mit den Fingern durch ihr Haar strich. Das beständige Schlagen seines Herzens bescherte ihr ein ungewohntes Gefühl des Friedens. In der Glückseligkeit dieses Augenblicks konnte sie die schwierige Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hatte, fast vergessen.
»François war hier«, sagte sie.
»Hm-hm.«
Sie hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie froh darüber war, dass die beiden einander verpasst hatten. Aber es war ihr letzter Tag in London, und sie wollte die wenige Zeit, die ihnen blieb, nicht einmal mit ihrem Bruder teilen.
»Wenn wir wieder in Windsor sind, können wir nicht mehr so einfach zusammen sein«, sagte Jamie. Es war wie ein Echo ihrer Gedanken.
In Windsor würde es wieder sein wie damals in Paris – sie müssten sich in düsteren Innenhöfen küssen und sich zwischen alten Krügen und Kornsäcken in staubigen Vorratskammern lieben. Sie nahm an, dass das, was der achtzehnjährige Jamie damals als aufregend empfunden hatte, ihm heute nicht mehr gefallen würde. Jamie war jetzt ein Mann und gewohnt, sein Leben in der Öffentlichkeit zu gestalten und nichts zu verheimlichen.
Jamie nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und lächelte sanft zu ihr herab. »Wir werden uns so oft wie möglich davonstehlen.«
Die Geheimnistuerei passte ihr; sie war zurückhaltender damit, sich zu offenbaren. Aber Jamie war nicht so glücklich über die Vorstellung sich davonzustehlen, wie er tat.
Etwas war anders als damals in Paris.
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