Mein glaeserner Bauch
Inflationsrate. Ein Ersttrimester-Screening auf Krankenschein führe letztendlich zu geringeren Kosten, so der Artikel – das Fazit einer nüchternen Kosten-Nutzen-Analyse. Mit Gewinnerzielungsinteressen der Verfasser des Artikels. 66
Besonders beeindruckt hat mich, dass sogar der Produktivitätsausfall berechnet wurde, der angeblich bei Menschen mit Down-Syndrom zu erwarten ist. Das, was Menschen mit Trisomie 21 nicht leisten für die Wirtschaft. So sieht sie aus, die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. So werden Wert und Unwert des Lebens bestimmt.
Informationen in einer Fachzeitschrift für Geburtshilfe und Frauenheilkunde . Zehn Jahre nach Leon.
D ie geflüsterte Botschaft der Krankenschwester im fünften Stock der Klinik war mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Darum hatte ich Klaus gebeten, mir unsere Telefonbücher mitzubringen. Gelbe Seiten inklusive. In der Rubrik Bestattungsunternehmen suchte ich eine Nummer heraus. Was konnte ich für mein Kind jetzt noch tun? Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Einem wildfremden Mann am anderen Ende der Leitung versuchte ich so sachlich und konzentriert wie möglich vom Krankenhausbett aus meine Situation zu erklären. Und er informierte mich sachlich und konzentriert über ordnungsbehördliche Bestimmungen und Verordnungen über das Leichenwesen. Was ich auf kleinen Zetteln notierte, konnte ich selbst kaum lesen, so sehr zitterte meine Hand.
Ja, auch ein Fötus unter fünfhundert Gramm durfte auf Wunsch der Eltern bestattet werden. Aber von Rechts wegen gab es weder eine Beurkundungs- noch eine Bestattungspflicht. Das Bestattungsunternehmen konnte dann tätig werden, wenn eine ärztliche Bescheinigung darüber vorlag, dass es sich um einen menschlichen Körper handelte und dem Tod keine strafbare Handlung zugrunde lag.
Und natürlich war die jeweilige Friedhofssatzung zu beachten. Ansonsten sprach nichts dagegen. Wo die Beisetzung denn stattfinden solle, fragte er mich. Ich zögerte. Die Familie von Klaus lebte in der Nähe, aber wo der Friedhof lag, auf dem seine verstorbenen Großeltern bestattet waren, wusste ich nicht.
Die einzige Grabstelle, die ich mir vorstellen konnte, war das Familiengrab am Ort meiner Kindheit. Dort, wo ich schon mit meinem Großvater Blumen gepflanzt und nach dem Kindergottesdienst regelmäßig die Urgroßeltern besucht hatte. Wo wir drei Großeltern beerdigt und meinen Vater, Onkel und Tante begraben hatten. Eine für mich heilige Stätte. Dreihundert Kilometer entfernt.
Erst jetzt merkte ich, ich hatte mein Anliegen nicht zu Ende gedacht. Die Vorstellung, mein winziges Kind in einem Leichenwagen über dreihundert Kilometer Autobahn zu schicken, erschien mir plötzlich grotesk. Mein Kopf hatte das reale Bild bisher nicht zugelassen. So brutal und konkret.
Ich war der Situation nicht gewachsen.
Und legte auf.
Noch barg mein Körper schützend das Ungeborene. Meine Seele hatte – davon war ich überzeugt – auch das dritte Abtreibungsmedikament neutralisiert. Als Infusion floss es durch eine Kanüle in meinen Handrücken. So wie sie es angekündigt hatte, unterbrach die junge Stationsärztin für einen Tag die Behandlung, als die Höchstdosis erreicht war. Mein Körper sollte zur Ruhe kommen, bevor der nächste Ansturm begann.
Wie ich Jahre später im Bericht las, hieß das Medikament, das sie jetzt eingesetzt hatte, Nalador . Ich recherchierte im Internet und fand heraus, dass dieses Mittel selbst teratogen ist, das heißt, es enthielt Stoffe, die Fehlbildungen beim Kind hervorrufen können. Dies war in Tierversuchen mit Ratten festgestellt worden. Jede Nalador-Behandlung zur Einleitung des Aborts ist mit dem Abbruch der Schwangerschaft zu beenden, da eine Schädigung des Fetus wahrscheinlich ist . 67
Schon längst gab es kein Zurück mehr. Die Unterbrechung der Behandlung war nur eine Galgenfrist. Eine Ablenkungsstrategie für den Organismus. Ein Täuschungsmanöver gegen meinen Körper. Nach der Pause, das war klar, würde der Versuch wiederholt, die Abtreibung fortgesetzt werden. Als zusätzliche Möglichkeit wurde mir eine Spritze ins Herz des Kindes in Aussicht gestellt.
Der Fetozid, die Tötung des Kindes im Mutterleib durch eine Kalium-Chlorid-Spritze ins Herz, ist inzwischen besonders bei Spätabbrüchen nach der zwanzigsten Woche üblich. Frühgeborene sind, wie auch die Erfahrung bei Spätabbrüchen zeigt, bereits ab der zweiundzwanzigsten Schwangerschaftswoche außerhalb des Mutterleibs
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