Mein glaeserner Bauch
könnten viel unternehmen, was nicht geschieht, um diese Häufigkeiten zu vermindern. Warum richten wir also unsere Aufmerksamkeit so sehr auf die Verhinderung von behinderten Föten?« 76
Pränataldiagnostik gilt inzwischen für die meisten Schwangeren als Bestandteil der Schwangerenvorsorge und wird schon seit Mitte der siebziger Jahre von den Krankenkassen bei sogenannten Risikoschwangerschaften finanziert. Das behinderte Kind wird zum Risiko – so Anne Waldschmidt, Gründungsmitglied des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik – wenn man davon ausgeht, dass dieses Kind mit der richtigen Entscheidung verhindert werden könnte.
Die angebliche Reduzierung von Risiken spielt in der Praxis der Pränataldiagnostik eine zentrale Rolle. Risiko ist ursprünglich ein kaufmännischer Begriff und bezeichnet als statistische Kategorie im Versicherungswesen das Gegenteil von Mehrheitsnormalität. Das Ziel beim Risikomanagement ist es vor allem, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass ein vorhersagbares Ereignis abgewendet wird. Und der Versicherungsfall gar nicht erst eintritt. Risikobegriff und Entscheidungszwang für die Schwangere stehen also in engem Zusammenhang. 77
Pränataldiagnostik trägt dazu bei, Risiken in der Schwangerschaft rechtzeitig zu erkennen und Leid zu vermeiden. So lautet die weitverbreitete Begründung für das Angebot und auch für die Inanspruchnahme von Pränataldiagnostik. Das klingt zunächst durchaus überzeugend und verständlich. In der Praxis wird daraus allerdings ein Mechanismus, der Kinder vor der Geburt herausfiltert, die von der statistisch definierten Normalität abweichen. Damit sie gar nicht erst lebend zur Welt kommen.
Hinter der statistischen Normalität verbergen sich soziale Normen und Erwartungshaltungen, auf die im Zweifelsfall zurückgegriffen wird, wenn etwa die Entscheidung darüber ansteht, ob ein bestimmtes Kind geboren werden darf oder abgetrieben werden muss, so die Sozialwissenschaftlerin Anne Waldschmidt. Und sie fügt kritisch hinzu: »Dass dabei auch darüber entschieden wird, was in unserer Gesellschaft als normal, was als unnormal zu gelten hat, wird erst auf den zweiten Blick hin sichtbar.« 78
D er Tropf mit der Wehen fördernden Infusion war längst durchgelaufen und der Infusionsschlauch entfernt worden, als ich spürte, dass mein Körper sich veränderte. Umschlungen standen Klaus und ich auf einem der hässlichen Klinikbalkone, der allenfalls für Raucher ein schönes Plätzchen sein konnte. Das ließ jedenfalls der überquellende Sanduhr-Ascher vermuten. Es war Samstagnachmittag. Der sechste Tag in der Frauenklinik.
Klaus schien erleichtert, dass ich ihn wegschickte, als die Schmerzen einsetzten. Er war morgens gekommen und inzwischen schon wieder viele Stunden bei mir gewesen. Die seelische Strapaze war für ihn kaum geringer als für mich.
Ich versprach, ihn anzurufen, wenn ich ihn brauchte. Wollte ihm nicht zumuten, tatenlos neben mir ausharren zu müssen, wenn die Wehen stärker wurden. Er litt auch so schon genug. Was auch immer geschah, wie sollte er mir dabei helfen?
Dies war keine Geburt, auf die wir uns hätten vorbereiten können. Es war eine Geburt zur Unzeit, ohne Kurs im Geburtshaus, ohne Hebamme, ohne warme Wanne, ohne Kreißsaal. Ich wusste nur, wie schlimm sich Menstruationsschmerzen früher manchmal angefühlt hatten. Erinnerte mich an raunende Warnungen: So ist das auch, wenn man Kinder kriegt.
In Träumen hatte ich bereits mehrmals in meinem Leben ein Kind zur Welt gebracht. Sehr konkret, zwischen meinen Beinen hervor. Aber schmerzlos. Meistens konnte das Neugeborene in meinem Traum gleich sprechen. Und immer war es ein bewegendes, glückliches Erlebnis. Nichts hatte mich vorbereitet auf das, was mir jetzt bevorstand.
Ich lag allein in meinem Zimmer und wand mich vor Schmerzen hin und her. Zog die Beine an, und umschlang sie mit meinen Armen. Lief weinend im Zimmer auf und ab. Kroch auf allen vieren über die Matratze. Lag auf den Knien im Bett und weinte laut ins Kissen. Oh Gott, es tut so weh! Ich krümmte mich vor Schmerzen. Hörte mich stöhnen. Und das war erst der Anfang. Die Geburt hatte begonnen. Und ich war ganz allein.
Die Krankenschwester gab mir Schmerztabletten, als ich sie rief, aber ich spürte keine lindernde Wirkung mehr. Und war abgrundtief verzweifelt. Als ich das nächste Mal nach ihr klingelte, tränenüberströmt, spritzte sie etwas durch die Kanüle in meinem linken Handrücken, an die vorher der
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