Mein glaeserner Bauch
Tropf angeschlossen gewesen war.
»Ich darf das eigentlich nicht«, murmelte sie.
Abrupt wichen die Schmerzen einer tiefen Müdigkeit. Viel zu schnell, um auch nur zu ahnen, dass ich »weggeschossen« wurde, wie mein Freund, der Anästhesist, gesagt hätte.
Sister Morphine.
Die Schwester hatte Mitleid mit mir.
wo woher kommt das rasseln telefon leise ganz nah meine hand mein arm wo was ist mit meinem arm mein kopf alles weit weg watte wattig gefangen in diesem fremden körper riesig groß hallig wattig dumpf die welt weit weg wo das telefon meine hand ich kann nicht warte hallo ja ich kann nicht ja meine zunge geschwollen schwer im mund ich lalle meine hand albtraum riesig aufgeblasen alles weit weg ich möchte wach werden eine Blase zwischen meinen Beinen, mein Kopf sucht drogenschwer nach einer Erklärung, und ich beginne mit meiner rechten Hand zwischen den Beinen zu begreifen, was mit mir geschieht. Ohnmächtig. Erschüttert. Allein.
Halb wach klingele ich nach der Schwester.
»Ist es so weit? Moment, ich rufe die Ärztin.«
Wieder bin ich allein. Allein mit meinem Kind, dessen kleines Köpfchen ich in meiner Hand zwischen den Beinen spüre. Die Zeit bleibt stehen. Ewigkeit.
Sie kommen zu zweit, arbeiten zügig hinter der aufgeschlagenen Bettdecke, die jetzt über meinen Knien liegt. Alles geht sehr schnell. Ich höre, wie sie die Nabelschnur durchtrennen. Und einpacken. Ich liege wie ohnmächtig auf dem Rücken. Nur mein Kopf geht hin und her, als wolle er meinen Körper verlassen. Und ich vergesse zu atmen.
Gleich nehmen sie mir mein Kind weg, durchzuckt es mich plötzlich. Mühsam richte ich mich auf, gestützt auf meine Unterarme.
»Wollen Sie es sehen?«
Hätten sie ihn einfach mitgenommen, wenn ich mich nicht bemerkbar gemacht hätte? So, als habe es ihn nie gegeben? Ich sitze im Schneidersitz im Bett, beide Hände wie zu einem Nest zusammengelegt. Gebettet auf ein Zellstoffvlies in meinen Händen liegt Leon. Er ist leicht wie ein Vogel.
Wir sind allein.
Der Anrufer, der mich aus meinem Drogenschlaf gerissen hatte, war der Therapeut. Er war zurück von seinem Managertraining in Süddeutschland. Dass dies kein guter Zeitpunkt für ein Gespräch sein konnte, war ihm augenblicklich klar.
Jetzt war ich wach, die Geburt war vorbei. Und ich wünschte so sehr, Klaus wäre da. Hoffte, er habe eine Nachricht aus der Klinik bekommen und sei auf dem Weg zu uns. Zu telefonieren, mit meinem toten Kind bei mir, kam mir vor wie Frevel. Profan. Unwürdig.
Als ich das Alleinsein mit Leon nicht mehr ertragen konnte, rief ich Klaus schließlich an. Er war sofort am Telefon: »Ja, ich komme, ich bin gleich bei dir.« Er klang angespannt und besorgt.
»Es ist alles vorbei«, versuchte ich ihn traurig zu beruhigen. Und war froh, seine Stimme zu hören. Ich klingelte nach der Schwester, um sie zu bitten, an der Pforte Bescheid zu geben, damit Klaus jetzt noch hereindurfte. Vielleicht war das völlig überflüssig, aber ich wollte jeden Zeitverlust vermeiden. Es war Samstagabend kurz vor zehn.
Die Schwester schaute auf mein Kind und fragte, ob sie es nehmen solle. Irgendetwas in ihrer Stimme klang wie ein Angebot, nicht alles allein tragen zu müssen. Ich nahm dankbar an. Ganz unerwartet kam sie wenig später wieder mit einer nierenförmigen, weißen Emailleschale. Eingehüllt in ein weißes Leinentuch, brachte sie mir Leon zurück.
»Damit Ihr Mann ihn sich ansehen kann. Das ist wichtig«, sagte sie leise, als ich sie unsicher anblickte.
Sie schaltete die Deckenbeleuchtung aus und ließ unser Kind zugedeckt auf der Fensterbank zurück. Nur das gedämpfte Licht über meinem Bett erhellte den Raum.
Sanft hatte ich Klaus darauf vorbereitet, dass ich mit ihm gemeinsam von Leon Abschied nehmen wollte.
»Er ist hier? In diesem Zimmer?«
Die Worte der Schwester und auch die meines Bruders gaben mir Kraft, Klaus die Begegnung zuzumuten, ihn nicht zu schonen in diesem entscheidenden Augenblick. Er gab schließlich nach, ich bin sicher, er tat es meinetwegen.
Ich spürte seinen Widerstand und seine Angst. Er wollte es richtig machen, für mich. Vorsichtig trug er die weiße Schale vom Fensterbrett zu mir. Ich wusste, er trug eine schwere Last. Behutsam öffnete ich das Tuch. Da lag unser Kind in seiner ganzen Schönheit.
Seine Augenlider waren geschlossen. An der rechten Wange war sein zartes Gesicht blutunterlaufen, ein weiterer Bluterguss schlang sich rechts, vom Rücken her, halb um seinen kleinen Brustkorb.
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