Mein glaeserner Bauch
Arzt und befolgen Sie seine Ratschläge!« Der letzte Satz der Hinweise für die Schwangere im Mutterpass. Für die Zeit danach hatte mir niemand Ratschläge mit auf den Weg gegeben. Wie sollte es jetzt weitergehen? Nichts war mehr wie zuvor. Nur regnete es wieder in Strömen, als wir durch die Alpen zurück nach Hause fuhren.
In der Klinik hatte man mir versprochen, mich über den Termin der Einäscherung zu informieren, hatte vage Andeutungen gemacht über Andachten in der Klinikkapelle. Wochen später wurde mir, nach der Verbrennung, mit einem Zweizeiler der Vollzug mitgeteilt.
Wo Leon letztendlich hingekommen ist, weiß ich nicht. Wenige Wochen nach seinem Tod gingen Meldungen durch die Presse, wie Totgeburten in Deutschland entsorgt werden. Mich schockierten allein schon die Schlagzeilen.
»Infektiöser Müll. Abfallfirma verarbeitete Totgeburten zu Straßenbelag.« 81
Der Artikel wäre mir nicht aufgefallen, ich hätte ihn überblättert, ihn für eine dieser reißerischen Sensationsmeldungen gehalten. Eine der Tragödien, die viele Zeitungen ihren skandalhungrigen Lesern jeden Morgen zum Frühstück auftischen. Eins der immer gleichen Dramen, die die Auflagen steigern sollen. Wäre da nicht mein eigener Schmerz gewesen.
Die ambulante Betreuung nach dem Abbruch in der Klinik übernahm, wie ich überrascht feststellte, nicht meine Gynäkologin, sondern ihre Vertretung. Ich hatte sie noch nie vorher gesehen. Dabei war die Ärztin längst aus dem Urlaub zurückgekehrt.
Sehr geehrte Frau Kollegin,
wir berichten Ihnen über die o.g. Patientin, die sich vom 29.6. bis 6.7. in unserer stationären Behandlung befand.
Diagnose: Trisomie 21 in der 15.SSW
Therapie: Aborteinleitung mit Cergem, Prepidil Gel und Nalador-Infusion, Abortcurettage.
Stationärer Verlauf:
Die Patientin kam zur stationären Aufnahme mit einer Trisomie 21 in der 15.SSW, die außerhalb sowohl durch Ultraschall als auch durch die Zottenanalyse gesichert worden war. Auch in unserer Ultraschall-Abteilung konnte die Diagnose eines Feten mit generalisiertem Hautödem bestätigt werden. Daraufhin wurde mit der Patientin die Schwangerschaftsunterbrechung ausführlich diskutiert. Am 29.6. begannen wir dann auf dringlichen Wunsch der Patientin die Schwangerschaftsunterbrechung.
Das Vorgehen war zweitzeitig. Zunächst leiteten wir die Ausstoßung der Frucht mit Cergem Vaginal Tabletten ein. Das Ausbleiben des medikamentenspezifischen Effektes ließ uns die Therapie mit Pravidel Gel und Nalador-Infusion fortsetzen. Nach frustranen drei Tagen ohne Effekt kam es dann nach einem Tag Pause am 4.7. zur Ausstoßung der Frucht. Die folgende Abortcurettage verlief komplikationslos … Die Patientin lehnte die Untersuchung des Feten ab …
Am 6.7. konnten wir die Patientin in gutem Allgemeinzustand und bei nur noch leicht bestehenden vaginalen Schmierblutungen wieder in die ambulante Betreuung entlassen.
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
Direktor der Klinik / Oberarzt / Stationsärztin
Der Abschlussbericht der Klinik an meine Gynäkologin. In keinem einzigen der Gespräche mit den behandelnden Ärzten und Ärztinnen hatte ich den dringlichen Wunsch nach einer Schwangerschaftsunterbrechung geäußert, wie es dort heißt. Und die Schwangerschaft war nicht unterbrochen worden. Sondern beendet. Leon war tot. Für immer.
Ich war keineswegs in gutem Allgemeinzustand. Mein körperlicher, vor allem aber mein seelischer Gesundheitszustand hatte eine schwerwiegende Beeinträchtigung erfahren. Aufgrund der von den Ärzten gestellten medizinischen Indikation, die als Folgemaßnahme automatisch an die pränatalen Tests gekoppelt worden war.
Meine Gynäkologin sah ich schließlich nur einmal kurz zur Nachsorge. »Die Ambivalenz wird bleiben«, war alles, was sie zu meiner schlechten Verfassung sagte. Einen weiteren Termin mit ihr selbst zu vereinbaren, war für den Rest des Jahres nicht mehr möglich.
Ihre Vertretung verschrieb mir Hormone und versprach, dass diese sicher auch meine Psyche wieder in Ordnung bringen. Ich wünschte mir sehr, sie möge recht behalten. Denn ich war extrem dünnhäutig und wusste nicht, wie ich das, was ich erlebt hatte, bewältigen sollte.
Es gibt inzwischen neue Regeln für die ärztliche Beratung von Schwangeren. Sowohl vor der Anwendung von Pränataldiagnostik, vor allem aber dann, wenn ein auffälliger Befund durch Maßnahmen der Pränataldiagnostik vorliegt. Seit Januar 2010 ist es gesetzlich vorgeschrieben, betroffene
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