Mein glaeserner Bauch
Sein Geschlecht war winzig. Ein ganz kleiner Junge. Seine zierlichen Füße erinnerten an die fötale Haltung im Mutterleib, sie waren immer noch gekreuzt. Unwillkürlich musste ich an die Darstellungen der alten Meister mit dem Titel Ecce homo denken.
Ich traute mich nicht, seinen kleinen Körper wirklich zu berühren, strich nur einmal zärtlich mit meinem Zeigefinger über seine Haut, an der Stelle, wo vor wenigen Stunden noch das kleine Herz geschlagen hatte. Lange betrachteten wir ihn, schweigend. Klaus hielt meine Hand ganz fest. Und neben großem Schmerz sah ich auch Dankbarkeit in seinen Augen. Er war nicht ausgeschlossen.
Immer wieder wanderte mein Blick zu Leons ausgeprägtem kleinen Mund.
»Das Schippchen hat er von dir«, flüsterte Klaus leise.
Und ich hatte gedacht, er hat es von seinem Vater. Der Apfelfaktor. Wir lächelten uns an, beide mit Tränen in den Augen. Wir waren Eltern.
Bevor ich das Bewusstsein verlor, hörte ich im OP Stimmen von Menschen, die ich nicht sehen konnte. Es ging offenbar um die Krankenschwester, die mir unerlaubt das Morphium gegeben hatte. Der Arzt wirkte ärgerlich.
»Das habe ich ihr auch schon gesagt«, erwiderte eine Frauenstimme.
»Und? Haben Sie einen Fußabdruck des Feten gemacht«, forschte er weiter.
»Nein, sie wollte es nicht.«
Jetzt klang er noch ärgerlicher.
»Wie? Erst stellt sie sich so an, und dann will sie keinen Fußabdruck?«
Ich wusste, jetzt sprachen sie über mich.
Wir sind nicht perfekt und können sicherlich so manches noch verbessern. Bei dem Bemühen, unsere Arbeit im Interesse aller Patienten zu verändern, können Sie uns ganz wesentlich weiterhelfen, indem Sie uns mitteilen, wie Sie sich gefühlt haben und wie Sie mit unserer Leistung zufrieden waren.
Ohne Vorwarnung hatten sie mich plötzlich aus meinem Krankenzimmer geholt, in dem Klaus und ich Abschied nahmen von unserem Kind.
»Ihre Frau muss jetzt in den OP .«
Klaus hielt stumm die weiße Emailleschale, als die Stopper an den Rädern des Krankenbettes schon mit leichtem Fußdruck gelöst wurden. Hilflos stand er da, als ich so unvermittelt hinausgerollt wurde. Vom Bett aus sah ich zu, wie ihm jemand das kleine Becken mit unserem Kind auf dem Leintuch aus der Hand nahm.
»Wollen Sie denn warten?«
Es war weit nach Mitternacht, als ich aus der Narkose aufwachte. Klaus saß an meinem Bett. Der Sonntag hatte begonnen. Ein Tag, an dem ich mich ausruhen sollte. Wie die Welt in sechs Tagen erschaffen worden war, war die Welt, die ich bisher bewohnt hatte, in den letzten sechs Tagen untergegangen. Vierzig Tage nach Feststellung der Schwangerschaft war die Erde für mich wüst und leer.
Eine Obduktion unseres Kindes lehnte ich ab. Ich wollte nicht, dass irgendjemand an ihm herumschnitt. Im Nachhinein war ich froh, dass er unzerstückelt aus meinem Leib gekommen war. Dass Klaus und ich unser Kind sehen, Leon für diese kurze Zeit kennenlernen konnten. Auch wenn wir dabei rüde unterbrochen worden waren. Ihn am nächsten Tag noch einmal anzuschauen, uns mehr Zeit für den Abschied zu nehmen, hat uns niemand angeboten. Und wir sind selbst nicht einmal davon ausgegangen, dass die Möglichkeit besteht, Leon noch einmal zu sehen.
Dem Operationsbericht entnehme ich, dass die junge Ärztin in der Nacht auch die Curettage der plazentaren Reste übernommen, meine Gebärmutter vorschriftsmäßig mit einem Metallinstrument geleert hatte. »Der Eingriff kann ohne Komplikationen und bei leerem Cavum-uteri beendet werden«, steht da. So kann man diese Nacht also auch beschreiben. Assistiert hatte ihr der leitende Oberarzt. Durch ihn war dann noch eine Nachcurettage erfolgt.
Ob das wohl der Arzt war, der sich am Sonntag an mein Bett setzte und mir erklärte, dass es auch um meine Gesundheit gegangen sei? Und dass ich wahrscheinlich, so wie ich aussähe, im nächsten Jahr auf der Station ein gesundes Kind zur Welt bringen würde? Dass mein Kind keine Überlebenschancen gehabt habe und wahrscheinlich vor oder während der Geburt gestorben wäre, wenn ich es ausgetragen hätte?
Warum steht dann im OP-Bericht nur »Trisomie 21 in der 15. SSW «? Und nichts von Hydrops fetalis, von totbringenden Ödemen? Tatsächlich war es der zweite Tag der sechzehnten Schwangerschaftswoche, und das Operationsdatum im Bericht stimmt auch nicht.
Wir sind nicht perfekt und können sicherlich so manches noch verbessern.
Komplimente über mein Aussehen konnten mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich sehr
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