Mein glaeserner Bauch
hatte ich mir ein Kind gewünscht. Nur wenige wussten davon. Als ich Leon so schnell wieder hergeben musste, war ich zutiefst verletzt und fühlte mich gedemütigt. Ein großer Wunsch schien für kurze Zeit wahr zu werden. Aber statt wirklich in Erfüllung zu gehen, war ich am Ende tief beschämt über meine Unfähigkeit, Leon zu schützen. Und ich schämte mich dafür, beschämt zu sein. Wollte unbedingt verhindern, dass man es mir anmerkt. Es war ein Teufelskreis.
Ich hatte mich im Schock der Diagnose dem gesellschaftlichen Zwang unterworfen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen. Mich den behandelnden Ärzten gegenüber nicht rigoros genug zur Wehr gesetzt, als sie nur einen Abbruch der Schwangerschaft für angemessen hielten. Ich war zu schwach gewesen, mich gegen diesen allseits spürbaren Konsens zu stellen. Aus dem Wunsch aller Eltern – Hauptsache gesund! – war Zwang geworden.
Gibt es keinen Platz mehr für Menschen, die den Normen der Leistungsgesellschaft nicht gewachsen sind? Wird der Wert von Menschen nur nach ihrer Leistung beurteilt? Durch inneren Rückzug und die Verschleierung meiner Gefühle hatte ich nach dem Abbruch versucht, mich zu schützen. Und glaubte noch immer, allen Erwartungen an Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit selbst entsprechen zu müssen. Lange genug hatte ich sie verinnerlicht, mich bereitwillig an herrschende Normen angepasst.
Dabei hatte ich Klaus gegenüber doch schon ganz zu Anfang deutlich gesagt, dass ich keine Fruchtwasseruntersuchung durchführen lassen will. Auch weil ich einem möglichen Entscheidungsdruck aus dem Weg gehen wollte. Ich wollte mich nicht rechtfertigen müssen. Und spürte während der Schwangerschaft mehrfach die Irritation anderer darüber, dass ich entschlossen war, auf die Fruchtwasseruntersuchung zu verzichten.
Was ich damals noch nicht wusste: Genau für die möglichst frühzeitige Diagnose von Fehlentwicklungen gibt es immer genauere pränatale Screenings. Das ist gemeint, wenn es heißt: Ein behindertes Kind muss doch nicht sein! Mein Recht auf Nichtwissen war mir damals nicht bekannt. Die betreuende Ärztin hatte es durch gezielte Diagnostik, ohne vorheriges Beratungsgespräch, verletzt, hatte mich so, nach heutiger Gesetzeslage sogar rechtswidrig, in einen für mich unlösbaren Konflikt gestürzt.
Einer Abtreibung zuzustimmen hatte, zusätzlich zur Trauer um Leon, mein Selbstbild so nachhaltig erschüttert, dass ich in eine tiefe seelische Krise geraten war. Irgendwann merkte ich, dass meine Gefühle verstummten. Ich konnte nicht mehr weinen, fühlte mich nur noch überanstrengt. Trostlos. Bedrückt. Schwer. Manchmal brachte die Musik, die ich in der Klinik gehört hatte, die Tränen zurück, aber ich fühlte mich davon nicht getröstet, sondern, im Gegenteil, wieder stärker verbunden mit Leon.
Ich traute mich nicht, meinen Schmerz zu zeigen, über meine Beschädigung zu sprechen, denn ich befürchtete, je länger mein desolater Zustand andauerte, umso unangemessener, peinlicher, banaler, verrückter, an den Haaren herbeigezogen, musste er auf andere wirken. Anstatt Mitgefühl zu erwarten, fürchtete ich den Vorwurf des Selbstmitleids. »Das will man ja eigentlich nicht hören«, hatte jemand gemurmelt, als ich zu Anfang einmal von meinem Krankenhausaufenthalt gesprochen hatte.
Ich war unfähig, offen zu sagen, was ich fühlte, und dabei eventuell ein Risiko einzugehen. Und machte es anderen mit meinen gefilterten Gefühlen nicht immer leicht, mit mir zurechtzukommen. Oft war ich nicht wirklich präsent, denn ein wesentlicher Teil von mir hatte sich versteckt, lebte hinter einer Maske, zum Schutz.
Ich versuchte, so gut es ging, irgendwie weiterzuleben.
Pränataldiagnostik verspricht, Leid zu verhindern. Und es wird stillschweigend vorausgesetzt, dass dies auch geschieht. Leid, das pränatale Diagnostik selbst produziert, wird jedoch öffentlich kaum thematisiert. Welches Maß an Selbstbeherrschung, ja Selbstinstrumentalisierung nötig ist, um sich allen Ritualen der Medizin während der Schwangerschaft zu unterwerfen, können vielleicht nur diejenigen ermessen, die die Punktionsnadel selbst gespürt haben.
»In der Selbstinstrumentalisierung wird der Mensch zum Material für sich und für andere«, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Anne Waldschmidt und stellt fest, dass Pränataldiagnostik menschliches Leben einer »Kosten-Nutzen-Analyse« unterzieht, damit nur derjenige Mensch zur Welt kommt, von dem erwartet werden kann, dass
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