Mein glaeserner Bauch
werden Anregungen und Antworten auf Fragen gegeben, die ich in meiner Not im letzten Jahr nicht einmal formulieren konnte.
Ich wünschte, ich hätte dieses oder ein ähnliches Buch in Ihrem Wartezimmer entdeckt. Schon bevor ich in die Klinik ging. Aber bei Ihnen gibt es so etwas nicht. Warum nicht? Sie werden doch sicher häufiger mit Patientinnen konfrontiert, die in genau der gleichen Lage, genauso verzweifelt sind, wie ich es im letzten Sommer war oder jetzt bin.
Warum bieten Sie nur so wenig Unterstützung an, wenn Sie doch wissen müssten, was Frauen durchmachen? Die Ambivalenz wird bleiben, war alles, was Sie mir gesagt haben darüber, was seelisch auf mich zukommt oder was mir bei der Verarbeitung des Verlustes helfen könnte.
Ich habe Schwangerschaft, Geburt, Tod und beginnendes Klimakterium innerhalb von wenigen Wochen erlebt. Und ich frage mich, darf man sich bei Ihnen damit so schwertun?«
Und eins ist mir natürlich klar, alle Räder stehen doch nicht still, weil eine Kassenpatientin es will. Diesen letzten Satz schrieb ich nicht, sondern dachte ihn nur. Meinen Groll auf die Ärztin verpackte ich stattdessen in der Bemerkung, mir gehe das Keine-Angst-vor-Falten-Plakat in ihrem Wartezimmer nicht aus dem Kopf. Ich dankte förmlich, mit freundlichen Grüßen. Und suchte mir eine neue Gynäkologin.
Was sollte ich noch bei ihr? Die Natur hatte nach Meinung dieser Ärztin ja nicht vorgesehen, dass Frauen nach der Menopause weiterleben. Es sei denn mit Hormonen. Und Rezepten auf Privatkosten.
Vielleicht musste ich es einfach so sehen: Sie hatte vom Baum der wissenschaftlichen Erkenntnis gegessen und glaubte jetzt möglicherweise selbst den Verheißungen der Schlange am Äskulapstab der Pharmaindustrie. Oder wollte sie nur ihre Einnahmen steigern? Was bedeutete ihr Engagement für Anti-Aging durch Hormone und Faltenwegspritzen? Konnte sie so den unerträglichen Gedanken an die eigene Sterblichkeit unterdrücken? Schluckte sie selbst die Wunderpillen, die ewige Jugend verheißen?
Mein Kind war tot, und ich war enttäuscht und wütend über die Art, wie sie in dieser schlimmsten Krise meines Lebens mit mir umgegangen war.
Pränatale Diagnostik stellt sehr widersprüchliche Anforderungen an Schwangere. Einerseits ist es ihre Aufgabe, ihr Kind zu beschützen. Körper und Seele sind schon durch die veränderte Hormonlage darauf geradezu programmiert. Und die Ultraschallbilder fördern bereits sehr früh in der Schwangerschaft eine emotionale Bindung zum ungeborenen Kind.
Andererseits zwingt ein noch ausstehendes Befundergebnis der pränatalen Diagnostik gewissermaßen aus Selbstschutz dazu, möglichst distanziert zu den eigenen Gefühlen zu bleiben, um den schwer erträglicher Zustand einer Schwangerschaft auf Probe auszuhalten. Gedanken und Wünsche, die mit dem Kind verbunden sind, werden zurückgehalten, denn potenziell steht die Schwangere mit einem problematischen Ergebnis der Untersuchung vor der Entscheidung, die Schwangerschaft abzubrechen.
Die meisten Frauen empfinden dies als die eigentliche Zumutung der Pränataldiagnostik. Und nehmen die Belastung trotzdem auf sich in der Hoffnung, sich bestätigen lassen zu können, dass ihr Kind gesund ist. Dabei wird verdrängt, dass Pränataldiagnostik dies nicht wirklich leisten kann, weil mit den Untersuchungen nur bestimmte Befunde ausgeschlossen werden können, andere hingegen nicht. 89
Eine gewisse Sprachlosigkeit beim Thema Pränataldiagnostik ist sehr verbreitet und ein Grund mehr dafür, weshalb Ärztinnen und Ärzten dabei so viel Macht von Schwangeren eingeräumt wird. Wahrscheinlich hofft jede Frau im sensiblen Zustand einer Schwangerschaft, ihre Gynäkologin stehe ihr mit all ihrer Erfahrung schützend und hilfreich zur Seite. So wie früher die Hebamme, die heute oft erst in Geburtsvorbereitungskursen und im Kreißsaal ins Spiel kommt.
Also sucht die Schwangere bei der Gynäkologin die so inständig gewünschte Sicherheit. Und für die Maßnahmen der pränatalen Diagnostik gilt dann oft unausgesprochen das Motto: Augen zu und durch. Heißt es doch im Mutterpass schon auf der ersten Seite: Beraten Sie sich mit Ihrem Arzt und befolgen Sie seine Ratschläge!
Im Nachhinein sind viele Frauen zwar froh, dass sie Pränataldiagnostik in Anspruch genommen haben, aber das liegt auch daran, dass sie bei unauffälligem Ergebnis davon ausgehen, dass ihr Kind gesund sein wird. Die meisten Kinder kommen ja auch gesund zur Welt. Selbst ohne die
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