Mein glaeserner Bauch
er der »Erfolgsorientierung seiner Umwelt im späteren Leben gerecht werden wird«. 90
Dabei prägt der ängstliche Blick vieler Eltern auf den potenziellen Erfolg ihrer Kinder die Erfahrung von Elternschaft ja schon bei gesunden Kindern. Sind sie stark, robust, talentiert genug, um den Anforderungen an sie in Schule, Studium und Beruf gerecht zu werden? Erst viele Jahre später wird sich erweisen, ob die Entscheidungen im Hier und Jetzt die richtigen waren. Die Ökonomie pervertiert allzu oft die familiären Beziehungen, gerade und besonders schwerwiegend in der Gestaltung von Kindheit.
Menschen mit Down-Syndrom passen deshalb schon gar nicht in diese erfolgsorientierte Welt. Selbst mit professioneller Förderung und liebevollster Zuwendung können sie niemals reibungslos funktionierende Rädchen im Getriebe einer leistungs- und marktorientierten Gesellschaft werden.
Wahrscheinlich ist es auch das, was werdende Eltern so tief verunsichert, wenn sie erfahren, dass ihr Kind mit einem Handicap zur Welt kommen wird. Man spürt in der Gesellschaft eine Besessenheit zur Selbstoptimierung, die erschreckend ist. Nicht allein, dass das Altern mit dem Skalpell des Schönheitschirurgen verhindert werden soll, sondern auch Nasen, Brüste, Bauch und Hintern von Jüngeren werden nach gängigen Schönheitsidealen zurechtoperiert oder Fettpolster operativ abgesaugt. Da müssen Kinder natürlich ebenfalls perfekt sein.
Erst als ich die Unterlagen in meiner Krankenakte gründlich studierte, fiel mir auf, dass Leon aufgrund eines vorläufigen Befundes getötet worden war. Der Endbefund aus dem Labor zeigt ein Datum zehn Tage nach der eingeleiteten Geburt.
Endbefund 14.07.: Die Analyse aus der Direktpräparation der Zotten wie auch nach inzwischen abgeschlossener Langzeitkultur ergab ausnahmslos Metaphasen mit einem zusätzlichen Chromosom 21. Es handelt sich um einen männlichen Chromosomensatz mit durchgehender freier Trisomie 21 (47, XY + 21).
Das Ergebnis einer genetischen Analyse von Chorionzotten oder Zellen im Fruchtwasser ist zwar, wie ich dem Deutschen Ärzteblatt entnehme, bei einer Kurzzeitkultur nach ein bis drei Tagen verfügbar. Dieses gilt allerdings zunächst nur als vorläufiges Ergebnis. Erst nach der Langzeitkultur, die zehn bis einundzwanzig Tagen beansprucht, hat der Test die Bedeutung eines Endbefunds. 91 Aber welche Schwangere schaut schon ins Deutsche Ärzteblatt.
Als ich während der Recherche zu diesem Buch in der Praxis meiner ehemaligen Gynäkologin darauf wartete, meine Krankenakte einsehen zu können, habe ich im Wartezimmer nach Informationsmaterial Ausschau gehalten, das Schwangere heute über Pränataldiagnostik und die möglichen Folgen rechtzeitig aufklärt. Es gab in der Praxis viel Lesestoff, und ich habe sorgfältig gesucht. Ich habe nichts gefunden. Auch nach hilfreichen Veröffentlichungen für Eltern, die sich mit schwierigen Prognosen für die Gesundheit ihres Kindes auseinandersetzen müssen oder die ihr Kind verloren haben, habe ich vergeblich gesucht. Stattdessen entdeckte ich zusätzlich zu den vielen Lifestyle-Magazinen ein Buch zu Mythos und Wirklichkeit von Schwangerschaft, das viel Mythisches enthielt.
Zwar stellt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) den Ärzten Informationsmaterial für Schwangere kostenlos zur Verfügung, damit diese die Broschüren an werdende Eltern weitergeben. Aber solche Materialien lagen nicht in der Praxis aus. In einer BZgA-Broschüre für Schwangere, die sich mit einem auffälligen Befund nach Pränataldiagnostik auseinandersetzen müssen, finden sich auch Informationen und hilfreiche Adressen zum Leben mit einem geistig oder körperlich behinderten Kind und zum Leben von Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung. Vielleicht erfährt die zutiefst beunruhigte Schwangere auch erst aus dieser Broschüre, dass es zum Thema Pränataldiagnostik in der Fachöffentlichkeit verschiedene Sichtweisen gibt. 92 Hinweise auf Organisationen, die für kritische Stellungnahmen gegenüber pränataler Diagnostik bekannt sind, wären allerdings vor einem auffälligen Befund hilfreicher. In der überarbeiteten Auflage von 2011 fehlt übrigens das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik, eine Adresse, die 2009 in der Broschüre noch vorhanden war. Das lässt mich vermuten, dass auch auf Mitarbeiter der BZgA der Druck von Befürwortern der pränatalen Diagnostik nicht ganz unerheblich ist.
Nur widerwillig händigte mir in der
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