Mein Glueck
eigentlich scheu und verängstigt vor seinen eigenen Bildern steht, an Henry, die Hauptfigur aus David Lynchs »Eraserhead«. Die aliengleichen, glitschigen Ungeheuer wie »Youngblood«, »Despero« oder »Batman«, die die Boutiquen am Broadway in immer waghalsigeren Züchtungen offerieren, passen zu diesem erschreckten Blick. Longo folgt mit seinen schwarzen Textilien allerdings keineswegs einer vestimentären Ordnung, die zwischen Tokio, Moskau, Berlin, London und San Francisco einer jüngeren und mittleren Generation die Einheitskutte aufzwingt. Wer den Künstler, umtost von einem mächtig stampfenden Soundtrack, im lichtdurchfluteten Loft an der Ecke von Grant Street und Circle Street in Manhattan erlebt, spürt am eigenen Leib, dass dieses Schwarz mit seinem Werk zu tun hat. Der Staub von Kohlestiften und schwarzen Kreiden schwängert die Luft, legt sich auf alles, auf Bücher, Dokumente, auf die braungebeizten ausgetretenen Dielen, die weißgeschlemmten Backsteinwände, und nimmt auch den Besucher nicht aus. Doch man darf es nicht bei der Schilderung dieser stockdunklen Bohème belassen. Das Schwarz, der dunkle Samt nächtlicher Falter besitzen symbolische Bedeutung. Es ist die Finsternis, die wir aus Piranesis »Carceri« kennen, das Rabenschwarz, dem auch Odilon Redon oder James Ensor ihre Halluzinationen entsteigen lassen. Der Freud-Zyklus, den Longo in seinem Atelier am West Broadway zusammenstellte, bestand aus schwarzen Bildern einer unerträglichen Leere, die auf Europa verwies. Longo beschäftigte sich mit Fotografien, die jene Zimmer und Salons in der Wiener Berggasse dokumentieren, aus denen Sigmund Freud vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten fliehen musste. Longo erklärte mir und Henning Ritter, mit dem ich ins Atelier gekommen war, seine Leidenschaft für Rainer Werner Fassbinders Filme. Doch vor allem seine Heirat mit der Schauspielerin Barbara Sukowa hätte bei ihm zu einer Beschäftigung mit der deutschen Geschichte geführt. Eine nächtliche, fatale Romantik steckt hinter diesen Bildern. Sonnenfinsternis legt sich über die menschenleere Wiener Wohnung. Man denkt an Auslöschung, an die verloderte, verkohlte Welt der Wälder- und Hordenbilder Max Ernsts, an die melancholischen Stimmungen in den abgeernteten düsteren Feldern Anselm Kiefers oder an das Endspiel von Gregory Peck und Ava Gardner in Stanley Kramers »On the Beach«, ein Film, in dem sich eine unsichtbare tödliche radioaktive Wolke über die letzten Überlebenden des nuklearen Krieges legt. Longo bedeckt alle seine Bilder mit Glasscheiben. Doch das Glas ist hier mehr als Glas, es bedeutet Brutkasten, medizinische Isolierung, Berührungsverbot im Bezug auf die Welt, die dargestellt wird. Die Dreidimensionalität der monumentalen pechschwarzen Flächen wendet sich nicht nur an das Auge. Unsere Sinne werden auf umfassendere Weise herausgefordert, wobei die Dämpfung des Materials den Schrei oder das Geräusch der Explosion erstickt. Der Betrachter prallt buchstäblich gegen Glas, gegen Scheiben. Zu dieser Stimmung passt ein Treffen im Atelier, bei dem sich vor dem gemeinsamen Abendessen Robert Longos Nachbar in Brooklyn, Paul Auster, zu uns gesellt. Ich hatte den Autor der New-York-Trilogie schon vor Jahren zusammen mit Barbara Sukowa besucht. Mit Auster sprach ich über die Beziehung zu Sophie Calle in seinem Haus in Brooklyn, nicht weit vom Brooklyn Museum und dem weiten Park Slope Areal. Es ist eines dieser Häuser, die der Autor auch in seinen Texten dann und wann benötigt: ein dreistöckiges Gebäude aus braunem Sandstein. Die steile Treppe bringt den Besucher aus dem kurzen Vorgarten in den ersten Stock. Hier liegen die Wohnräume und die Küche. Um ins Arbeitszimmer zu gelangen, steigt man wiederum eine Treppe hinab. Dort entsteht das, was Paul Auster die »strange things« nennt. Er schreibt seine Bücher auf einer alten Schreibmaschine, langsam, unter Qualen, wie er hinzufügt. Eine Seite am Tag mache ihn bereits glücklich. Nirgends entdeckt man einen Computer oder einen Zugang zum Internet. Paul Auster hat vor, dieser Art zu arbeiten treu zu bleiben. Deshalb hat er vorgesorgt: Für die Zeit, da es keine Farbbänder mehr geben wird, ist er gewappnet. Er zeigt mir einen Schrank, der mit Bändern geradezu vollgestopft ist. So fremdartig kommen einem diese Relikte der jüngsten Vergangenheit bereits vor, dass man eher an eine Akkumulation von Arman, an ein nostalgisches Wunderkabinett als an einen Nutzeffekt für
Weitere Kostenlose Bücher