Mein Glueck
den Schriftsteller denkt. Unsere Begegnung ging rasch über die zufällige, aber interessante Plauderei hinaus. In Paul Austers Büchern, einer effektvollen Mischung aus angewandter Depression und amerikanischer Topographie, stoßen wir auf eine Passage, die die scheinbar planlosen Schritte des Flaneurs in ein geometrisches Schema überträgt. Der Text als solches wird unterbrochen. An seine Stelle tritt ein Ideogramm, das den Weg durch die Stadt nachzeichnet. Dem Privatdetektiv Quinn dämmert, dass hinter den unerklärlichen, chaotischen Bewegungen Stillmanns, dem er in Stadt aus Glas , dem ersten Buch der New-York-Trilogie , durch die labyrinthische Quadratur Manhattans folgt, ein »Ansatz von zwingender Notwendigkeit« stecken könnte. Und der Autor/Detektiv äußert die Hoffnung, dass den Bewegungen des Observierten ein Sinn zukomme, so dunkel dieser auch sein möge. Denn Quinn weiß, dass außerhalb des Zufalls keine Realität existiert. Hier finden wir den tieferen Grund dieser Prosa. Die Anschaulichkeit der Bücher Austers, deren babylonische mentale Architekturen und deren schwindelerregendes Spiel mit der Wahrscheinlichkeit, verweisen auf Nathaniel Hawthorne oder Borges. Der Einsatz des Zufalls und der Zwang, den Zufall durch die Interpretation in Kausalität zu verwandeln, gehen wiederum auf Kafka und Beckett zurück. Denn präsentiert werden hier ausschließlich Erkenntnisprozesse, keine Erkenntnis. Austers Stadt aus Glas , der erste Teil der Trilogie, führt uns unweigerlich in die Nähe Longos. Dieser Roman bricht mit dem selbstverständlichen Umgang mit der Welt und dem anderen. Eine unüberwindbare Grenze zwischen Realität und der Wiedergabe von Realität wird hier errichtet. Diese Paranoia, die im Roman der unerbittlichen Geometrie der Metropole nachgezeichnet scheint, ein Verfolgungswahn, der zwischen Lüge, Fiktion und Wirklichkeit hin und her pendelt, findet sich auch in Longos Themen und in der Präsentationsform seiner Zeichnungen. Etwas Fatales, Verlorenes umgibt dieses Werk. Der Eindruck, es mit Arbeiten zu tun zu haben, die auf der Nachtseite spielen, hat sich im Laufe der letzten Jahre noch verstärkt. Die jüngste Entwicklung des Werks wirkt wie eine Gratwanderung, die von Werkgruppe zu Werkgruppe führt. Von den Blättern des Magellan-Zyklus, über den Freud-Zyklus, in dem die Spur einer bedeutenden menschlichen Existenz von den Räumen und den Dingen in den Räumen aufgesogen wird, in denen der Raum wie ein Futteral für ein verschwundenes Leben erscheint, über die sich endlos wiederholenden Wogen, die Atompilze und die monumentalen Planetenbilder führt dieser Weg. Longo stellt Entfernung dar, präsentiert Entfremdung, eine Welt, aus der sich der Mensch selbst nach und nach ausschließt.
Bei meinen ständigen Pilgerreisen nach New York suchte und entdeckte ich nur Gegensätze. Christo und Jeanne-Claude oder Alex Katz. Und welcher Kontrast wäre kapitaler gewesen als der zwischen Robert Longo und Jeff Koons, der nicht weit vom Atelier Roberts in einem Eckhaus am Broadway über eine Heerschar von Mitarbeitern herrschte. Es ging zu wie im Kinderlied »Wer will fleißige Handwerker sehen«. Man hatte das Gefühl, in die Welt Alberichs einzutreten, in der dieser seine Gehilfen zwickte und zwackte. Koons legte selbst keine Hand an. Alles geschah in einer richtiggehenden Berührungsangst, die die Hände sauber halten sollte. Jeff kontrollierte mit der Lupe, ordnete an und betrieb mit äußerstem verführerischen Charme seinen spiegelglatten Sauberkeitskult, über dem, wie bei Murakami, als Motto die Inschrift zu stehen schien, die man an anderen Plätzen liest: der Benützer möge die Örtlichkeit so sauber verlassen, wie er sie selbst vorzufinden hofft.
Das Haus, in dem ich in Wien zwischen Bauernfeldplatz und Liechtensteinpark unterkam, war, wie die meisten Gebäude in den äußeren Bezirken, damals noch rabenschwarz, und es wirkte speckig vom Ruß. Es herrschte in dieser Umgebung jenseits der Ringstraße die Atmosphäre von Carol Reeds »Der dritte Mann«, und nachts, wenn ich spät nach Hause kam und, wie es ab und zu vorkam, das Licht im Treppenhaus nicht funktionierte, geriet der Aufstieg zu meinem Zimmer im dritten Stock zu einer beklemmenden, panischen Initiation. Der durch den Mord am Russendenkmal ausgelöste Schock saß in dieser Zeit tief. Man hatte eine halbverscharrte weibliche Leiche hinter der dritten Säule der Kolonnade am Schwarzenbergplatz gefunden. Und auch ein
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