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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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diesem Tag an meine »éducation étrangère« nennen möchte. Mir war bewusst geworden, dass es nun an der Zeit sei, Abstand zur Herkunft, zur Heimat und zu der scheinbaren Selbstverständlichkeit von Erlaubtem und Verbotenem zu gewinnen.
    Nach dem wirklich begeisternden und aufmunternden Zwischenstopp bei der Stuttgarter Zeitung begann ich im Oktober 1958 in Wien mein Studium. Ich wollte unbedingt in eine Großstadt. In der Porzellangasse 31a, bei dem liebenswürdigen gebildeten jüdischen Ehepaar Nußbaum, hatte ich ein Zimmer gefunden. Der Familie, die 1926 aus Schlesien nach Wien gezogen war, gelang es, dort den Krieg zu überleben. Auch im nachhinein ist es mir noch unheimlich, dass ich von ihnen nie auch nur ein Wort über den Horror und die Angst hörte, denen sie entkommen waren. Überhaupt war das Schweigen auffällig in Wien, es gab irgendwie keine böse Vergangenheit. Die Vergangenheit war rein und hieß Kaiser Franz Joseph und Sisi. Ich denke an die Familie Pfeiffer, denen 1942 die Wohnung Sigmund Freuds in der Berggasse zugewiesen wurde und die sich erst lange Jahre nach dem Tode Freuds endlich dazu bereit erklärte, auszuziehen und den Platz für eine Gedenkstätte zu räumen. Die Mieterin wunderte sich damals: »1942 haben wir in der Berggasse 19 die Wohnung fünf bekommen, die Freud-Wohnung. Mein Gott, die Wohnung war ja frei … Die Wohnung war ganz frei. Völlig leer. Da war überhaupt niemand drinnen. Das war damals so. Das war so einfach. Das hat ja kein Problem gegeben.« Mit unwiderlegbarer Logik berief sie sich darauf, dass die Juden damals keinen Ärger mehr machen konnten. Und dies war eben das Wiener Problem. Peter Handke und Thomas Bernhard zogen den Hass der ganzen Gesellschaft auf sich, weil sie eine für sie lebensnotwendige Nestbeschmutzung auf sich nahmen. Tatsächlich kann man bis heute im alten Besucherlift der Neuen Burg, der zum Balkon über dem Heldenplatz führt, von dem aus Hitler geredet hatte, auf einer Metallplakette die Anordnung lesen »Bei Führerbegleitung einschließl. Führer bis 10 Personen Tragkraft«. Daran hat sich nie jemand gestoßen. Hinter dem Balkon, auf dem man gerne einen kleinen Braunen trinken wollte, herrscht der wunderbar sarkastische Christian Beaufort-Spontin über die ziselierte Heerschar der Hofjagd- und Rüstkammer. Kaum einer hat das, was in Wien verlorenging, besser und kälter zum Ausdruck gebracht als Wolfgang Georg Fischer, ein damaliger Mitstudent in Wien, dessen Vater zusammen mit Frank Lloyd in London die Galerie Marlborough Fine Arts gegründet hatte. In seinem Roman Wohnungen , der 1969 bei Hanser erschien und in Paris als bestes nichtfranzösisches Buch prämiert wurde, beschreibt er ein verlassenes, nach der Vertreibung und Vernichtung der Juden requiriertes Wiener Appartement und macht aus der Leere, in die man als Leser eindringt, einen eigenen Akteur. Die Schilderung solcher verlorener, lebloser Orte von gestern wird zur Historienmalerei unserer Zeit. Kurz nach der Veröffentlichung von Georges Perecs Les choses ( Die Dinge ) tritt in Wohnungen die Beschreibung nicht mehr gebrauchter Dinge und Plätze an die Stelle des Schmerzes. Es ist spannend, dass in Wien Antiquare immer noch in Häusern fündig werden, in denen die jetzigen Bewohner nichts über die Herkunft der Möbel wissen, die sie oder ihre Vorbesitzer in den Jahren der Vertreibung der Juden übernommen hatten und jetzt zum Verkauf anbieten. Patrick Kovacs, der an der rechten Wienzeile ein Geschäft für Antiquitäten führt, hat mir dies anschaulich und mit Degout beschrieben. Nie kann ich diese Objekte bewundern, ohne zugleich das Requiem zu überhören, das die Schreibtische, Sitzgarnituren, Armstühle und Deckeldosen anstimmen.

    Auf Korsika

    Mir wurde dies alles wieder bewusst, als ich den Freud-Zyklus von Robert Longo entdeckte, den Klaus Albrecht Schröder in der Albertina gezeigt hat. Longo gehörte zu den Künstlern, die ich in New York regelmäßig in ihrem Atelier aufsuchte. Man konnte miterleben, wie er in den Jahren nach dem ersten Golfkrieg seinen großen Erfolg unaufhaltsam durch den eigenen Pessimismus zerstörte. Seine Embleme der Finsternis, die wirbelnden, alles verschlingenden Fluten oder die blühenden Atompilze sind buchstäblich Endzeitbilder, Bilder, auf die keine Bilder mehr folgen können. Robert empfängt seinen Besucher stets in der Kluft eines pechschwarzen Heizers. Mit dem massigen skulptierten Haarschopf erinnert er, wenn er ernst und

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