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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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wie ein Echo Spuren der Materie nachklingen. Le Corbusier spielte mit dem Gegensatz Holz und Versteinerung. Es gab dort oben auf der Lichtung ein kleines Haus für Pilger, in dem ich die Nacht verbringen durfte. Dort begegnete ich erstmals dem Modulor Le Corbusiers, den Proportionen und Maßverhältnissen, die der Architekt in seiner »Cité radieuse« den Menschen als Lebensraum verschrieben hatte. Damals akzeptierte ich dieses Kerkersystem. In ihm sah ich die Verbindung von klösterlicher Zelle, von schützendem Bombenkeller und Selbstgenügsamkeit. Ich traf auf eine Stille, die ich bisher nur von den Exerzitien im Benediktinerkloster Beuron, unter der Leitung von Pater Korbinian Gindele, dem Meister der Gregorianik, kannte. Die Verbindung zu Beuron, zu der Beuroner Malerschule, zu dem Malermönch Desiderius Lenz und zur Erneuerung der Liturgie, die in Frankreich vor sich ging, stellte sich ganz von selbst her. Die frühchristliche Mimese, diese Mischung aus byzantinischer Kunst, Jugendstil und Askese, hatten mich im Beuroner Kloster, inmitten der Felswände im Donautal unweit von Burg Wildenstein, wo wir als Ministranten einmal zelteten, beeindruckt. An jenem Abend in Ronchamp wurde ich von einem Dominikaner empfangen, der mit Marie-Alain Couturier, der auch die Bauten von Audincourt und Assy durchgesetzt hatte, befreundet gewesen war. Und Pater Couturier war es schließlich auch gelungen, den widerstrebenden Freidenker Le Corbusier für diesen Auftrag in Ronchamp zu gewinnen. Später erzählte mir Dominique de Ménil von diesem außergewöhnlichen Mann, mit dem sie sich während des Krieges, bei seinem Aufenthalt in den USA, angefreundet hatte. Sie hatte schließlich auch die Veröffentlichung einer Auswahl seiner Schriften besorgt. Couturiers Vorbild, seiner Spiritualität ist es sicher zu verdanken, dass Jean und Dominique de Ménil später nicht nur eine umfassende Kunstsammlung anlegten und in Houston von Renzo Piano das schönste, heiterste Museum der Welt bauen ließen, sondern auch Philip Johnson damit beauftragten, die Rothko-Kapelle für einen der letzten, düstersten Bilderzyklen des Malers zu errichten.

    Patrick, Alexandra und Monique Spies

    Über diese emotionale Begegnung mit Ronchamp, dem »Gral der modernen Gottsucher«, und über den Vergleich zwischen Brechts Johanna der Schlachthöfe und Anouilhs Stück Antigone durfte ich damals, 1958 , am Ende meiner Volontariatszeit eine ganze Seite im Schwarzwälder Volksfreund veröffentlichen. Beim Wiederlesen des Aufsatzes über den Ausflug nach Burgund fällt mir auf, dass ein Hauptmotiv meiner Betrachtungen über die Einsamkeit der Chapelle de Notre-Dame-du-Haut auf die Wurmlinger Kapelle und das Uhland’sche »Droben stehet die Kapelle, schauet still ins Tal hinab« anspielt. Über die Verbindung des sophokleischen Themas bei Anouilh und Brechts Antigone in den Schlachthöfen Chicagos – einer revoltierenden Antigone, die eher an Jeanne d’Arc erinnert als an ein antikes Modell – schrieb ich ohne konkreten Anlass. Ich war so stolz auf meinen Beitrag, dass ich ihn an die Stuttgarter Zeitung sandte und mich dort völlig blauäugig um eine Stelle in der Redaktion des Feuilletons bewarb. Josef Eberle las meine Texte offenbar mit Wohlwollen. Er ließ mich nach Stuttgart in die oberste Etage des Turmhauses kommen, tauschte mit mir Erinnerungen an Rottenburg und die gemeinsamen Bombennächte im Keller unseres Hauses aus und holte mich schließlich in die Redaktion der Zeitung. Er war sicher einer der unabhängigsten Verleger dieser Zeit. Und er genoss wie ein kleiner Fürst uneingeschränkte Autonomie. Als leidenschaftlicher Latinist scheute er sich nicht, ab und zu in der Wochenendbeilage der Zeitung, der fabelhaften »Brücke zur Welt«, die erste Seite prunkvoll in lateinischer Sprache zu verfassen. Als ich einige Wochen nach meiner Fahrt zur Wallfahrtskirche Ronchamp in Rottweil über den Platz vor der Kapellenkirche ging, stürzten ein Mann und eine Frau auf mich zu, um mich überaus gerührt zu umarmen. Das Paar hatte mich einige Wochen zuvor beim Autostopp von Freiburg aus über die Grenze nach Belfort mitgenommen. Beide waren hochbeglückt und erleichtert, dass ich trotz meines Enthusiasmus für Frankreich wieder in die Heimat zurückgekehrt war. Sie waren felsenfest davon überzeugt gewesen, dass ich ausreißen und in die Fremdenlegion eintreten würde. Tatsächlich ging es mir nicht um die »légion étrangère«, sondern um das, was ich von

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