Mein Glueck
alle Verleger hatten die Manuskripte von Molloy , Malone meurt , L’innommable oder En attendant Godot , mit denen Suzanne, Becketts Frau, in Paris, ohne sich je abbringen zu lassen, von Tür zu Tür ging, auf erbarmungslose Weise zurückgewiesen. Lindon ist die Ausnahme, er entdeckte Beckett und brachte zunächst Molloy heraus. Beckett soll damals gesagt haben: »Wie sympathisch ist dieser junge Mann. Wenn ich daran denke, dass er wegen mir Konkurs machen wird!« Und welche Entdeckungen gelangen dem Verleger in den nächsten Jahren: Zu Molloy traten weitere unerhörte erste Bücher. Die definitive, erweiterte Fassung von Nathalie Sarrautes Tropismes erschien hier ebenso wie Texte von Claude Simon, Robert Pinget, Alain Robbe-Grillet, Michel Butor, Marguerite Duras, Jean Ricardou, Claude Ollier oder Monique Wittig. Aber auch Roman Jakobson, Kostas Axelos, Pierre Bourdieu, Deleuze, Guattari und Marcuse wurden in den Editions de Minuit verlegt. Wie Kahnweiler erschien mir Lindon als der Mann, dem offenbar nur Hauptgewinne gelingen wollten. Für mich waren dies unerhörte Vorbilder. Nur in einem Punkt war Lindon unerbittlich. Er verlegte nur Autoren, die auf Französisch schrieben. Alle meine Versuche, ihn auf deutsche Texte hinzuweisen, blieben fruchtlos. Auch Walter Boehlich hatte in diesem Punkt keinen Erfolg und stellte irgendwie enttäuscht fest, dass Lindon als einziger Verleger in beiden Ländern seine eigenen Autoren in der Enge einer nationalsprachlichen Isolierung leben lasse.
Zwei wichtige Zeitschriften, Critique und Arguments , bildeten im Verlag das Sprachrohr für die literarische und gesellschaftswissenschaftliche Theorie, die sich um die Schriftsteller des Hauses auszubilden begann. Kaum mehr als zwanzig Bücher im Jahr veröffentlichten die Editions de Minuit, immer in der gleichbleibend einfachen Aufmachung: weißer Umschlag und tintenblaue Schrift. Als Firmenzeichen diente ein blauer Stern. Der Verlag, der während der Besatzungszeit im Untergrund publizierte, hatte für sich den Stern der Mitternacht als Symbol ausgesucht.
Lindon war ein strenger, manchmal aufbrausender Mensch, einer, der eine tief empfundene Verachtung offen zeigte. Es gab nichts Kommodes im Umgang mit ihm. Er schien wie imprägniert gegen Freundlichkeit und Komplimente. Zunächst jagte er mir eher Angst ein. Aber dieser Charakterzug prädestinierte ihn dazu, Becketts Freund und Vertrauter zu werden. Auch physisch, in der asketischen Erscheinung, passten die zwei Männer zueinander. Beide gehörten zu jener Sorte Menschen, die als letzte dem unvermeidbar scheinenden Ritus der Wangenküsse zu entkommen vermochten. Lindon fand in diesem unbestechlichen »homme invisible« gewissermaßen sein Gegenbild. Er entsprach dem eigenen Stolz. Nie drängte er – im Unterschied zu manchen weniger sensiblen ausländischen Verlegern – Beckett dazu, »aufgegebene Werke« oder zurückgehaltene Manuskripte endlich freizugeben. Andere spürten erst gar nicht, wie sehr Beckett unter solchen Pressionen litt. So konnte ich es kaum ertragen, wenn ihn Siegfried Unseld beim Besuch oder beim Essen unermüdlich anflehte, das verworfene Stück Eleutheria publizieren zu dürfen. Niemand hatte es je zu lesen bekommen. Nie und nimmer werde er eine Publikation oder Aufführung zulassen, meinte Beckett. Er untersagte, dass dieser in seinen Augen missglückte Versuch eines Konversationsstücks an die Öffentlichkeit gelange. Man kann seinen Wunsch verstehen. Denn alles, was Becketts Welt auszeichnet, die Argumentationssucht seiner Figuren, der probabilistische Rausch, dem sie in ihren Diskursen und Bewegungen verfallen, fehlt in diesem Dramolett. Becketts Entscheidung war definitiv, und er vertraute darauf, dass keiner gegen seinen Willen vorgehen würde. Er konnte nicht vorausahnen, dass sich nach seinem Tode das Haus des Treuesten der Treuen, der Verlag Jérôme Lindons, nicht daran halten sollte.
Es gab keine Umständlichkeiten. Als personifizierte »Sorge des Hausvaters« schien er so gut wie unersetzlich. Dies galt vor allem für Beckett. Der weckte seine Lust am Organisieren, an der Vermittlung eigener Lebenspraxis. Nur ging es dann etwas stiller zu. Plötzlich sprach er leise. Er wollte helfen, ihn pflegen. Meine haltbarsten Erinnerungen betreffen die Stunden, die wir zusammen am Boulevard Saint-Jacques verbrachten. Es waren Treffen mit praktischem Anlass. Einmal ging es um eine deutschsprachige Ausgabe der gesammelten Schriften. Aus dieser Zeit bewahre
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