Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
Vom Netzwerk:
wiederholt nach der plötzlichen Wiederentdeckung Hermann Hesses, nach Adorno oder nach dem Neuesten von Peter Weiss, von Martin Walser (den wir bei einem Besuch im Büro von Heißenbüttel in der Villa Hügel in Stuttgart kennengelernt hatten), und regelmäßig erkundigte er sich nach Peter Handke. Den wollte er treffen. Es kam auch dazu, in der Pariser Closerie des Lilas. Die Schweigsamkeit des Zusammenseins, die den Mutismus des anderen nicht zu überwinden suchte, war Beckett sicher sehr angenehm. Auch Paul Auster berichtete mir in seinem Haus in Brooklyn, wie sich von seinem einzigen Zusammensein mit Beckett, ebenfalls in der Closerie des Lilas, weniger das Gespräch als die Organisation von Schweigen eingeprägt hatte. Und Auster fügt hinzu: »Ich hatte das Gefühl, wenn ich verschwunden wäre, hätte das auf Beckett keinerlei Eindruck gemacht.«
    Beckett wusste, dass Unseld die Literatur und seine Autoren leidenschaftlich liebte. Dieses Wohlwollen war es auch, das Unseld ermutigte, dem höheren Auftrag nachzugeben, den er in sich spürte. Er war entschlossen, den angebeteten Dichter vor seinem Selbstzweifel in Schutz zu nehmen. Das zeigten die Treffen während der Zeit, in der Becketts Texte spärlicher wurden und immer lakonischer ausfielen. Der Optimismus des Verlegers machte sich im kargen Studiolo physisch breit, er vertrieb all die finsteren Gedanken, die mit Inhibition und Zweifel spielten. Becketts Klage vom Nicht-mehr-schreiben-Können konterte Siegfried Unseld therapeutisch mit dem Hinweis, er kenne selbstverständlich auch solche Momente der Lähmung, aber er glaube, dagegen die richtige Medizin gefunden zu haben. Er verfiel dabei ins Innigste, ins Schwäbische: »Sam, da gibt’s nur eins, schaffe, schaffe.« Es war ein unwiderstehlich komischer Auftritt. Die von entschlossener Faust begleitete Geste des Verlegers ließ den fragilen Tisch aus Sperrholz auf bedrohliche Weise erzittern. Ich schaute Sam an und zitierte, um diese Emphase der Arbeitsvermittlung zu feiern, aus Watt den Satz: »Que Dieu vous bénisse Mr. Louit.« Worauf Beckett in ein fröhliches, amüsiertes Lachen ausbrach. Auch die Tatsache, dass Beckett immer weniger gut sah, störte Unseld nicht. Er meinte zu mir: »Wir wissen doch, dass Sam auch dann noch schreiben würde, wenn er blind wäre.« Unseld tat dies alles aus tiefer Zuneigung heraus. Insofern war er – auch wenn er bei seinen Pariser Auftritten meilenweit entfernt von Etikette und Sensibilität agierte – ein rarer Gast unter den Besuchern Becketts, die in ihrer äffischen Nachahmung von diesem oft nicht mehr als Attitüden des ostentativen Verstummens und Leidens übernahmen. Siegfried Unseld verschlug es – der Sprache, dem Noch-zu-Schreibenden zuliebe – nie die Sprache.
    Lindons Stolz ließ es, wie gesagt, nicht zu, in seinem Verlag anderes als Selbstgewolltes und Selbstentschiedenes erscheinen zu lassen. Aus diesem Grunde verzichtete er darauf, Texte, die er nicht selbst entdeckt hatte und die bereits in anderen Sprachen vorlagen, in das Verlagsprogramm aufzunehmen. Selbstgewollt und selbstentschieden – mit diesen Worten ließe sich auch der politische Mensch Lindon beschreiben. Er war für die Politik und für die Kulturminister des Landes ein extrem unbequemer Partner. Seine Zivilcourage hatte er bereits als junger Mann im Untergrund, aufseiten der Résistance, bewiesen. Später ließ er es nicht zu, dass man ihn als einen der Akteure dieser Zeit bewunderte. Sein Mutismus war in dieser Sache ebenso stark wie der Becketts, der, auf seine Rolle im Widerstand, seine drei Jahre in Roussillon, das hübsche Dorf in der Provence mit seinem roten »Sentier des Ocres«, angesprochen, dies alles mit einer Handbewegung abzutun pflegte. Lindon ging es nicht um Vergangenes, sondern um praktisches, ständiges Eingreifen. Während des Algerienkrieges kämpfte er gegen die Zensur und stellte sich auf die Seite der Wehrdienstverweigerer. In seinem Haus erschienen Ende der fünfziger Jahre Pour Djamila Bouhired und La question , zwei Anklageschriften gegen die Folter, die die französische Armee in Algerien praktizierte. 1960 ließ er das berühmte Manifeste des 121 in seinem Haus drucken, das die Armee zum Ungehorsam aufrief. Er blieb, wie es einer der Kollegen nach seinem Tod zum Ausdruck brachte, der einzige Verleger, der kontinuierlich und mutig gegen den Algerienkrieg kämpfte. Die Aktion begleitete das Schreiben. Und das Wissen um die politische Position verlieh dem

Weitere Kostenlose Bücher