Mein Glueck
ich eine handschriftliche Notiz von Beckett, in der er in meiner und Elmar Tophovens Gegenwart die Anlage einer mehrbändigen Ausgabe der gesammelten Schriften entwirft. Beckett nahm dieses Projekt schnell selbst in die Hand. Auf der zweiseitigen Liste skizzierte er die Auswahl. Er gliederte das Material in einzelne Bände und kommentierte den einen oder anderen Text: »Das sind Ausschnitte aus einem aufgegebenen Werk, das ich nun unter dem Titel ›Der Verwaiser‹ in dieser Form zum Druck freigeben werde.« Den frühen Roman Mercier et Camier , der 1943 entstand, bot er gleichfalls erst damals zur Publikation an. Band I soll Murphy , Watt und M et C umfassen. Beckett kürzt die beiden Namen noch ab, so als gehörten sie weiterhin zu den »Unreinen«. Dabei handelt es sich bei Mercier et Camier um einen hinreißenden Kommentar zu dem Sottisier, den Flaubert in Bouvard und Pécuchet skizziert: Die Ironie sabotiert eine Welt der vorfabrizierten Dummheiten und Gemeinplätze. Es war gar nicht so einfach, Unseld von der Gültigkeit und Notwendigkeit eines Beckett’schen Neins zu überzeugen. Diese Treffen zählten zu dem, was ihm als größte Belohnung seines Metiers erschien: Das spürte ich. Und er wollte sie nicht mit anderen teilen. Wenn Boehlich dabei war, merkte man, dass ihn dessen Gegenwart hemmte. Unübersehbar war die Spannung, ja der Hass zwischen den zwei Männern. Boehlich machte sich lustig darüber, dass Unseld die gesamte Bibliothèque de la Pléiade Gallimards zu Hause als Wandschmuck habe, obwohl er keinen französischen Text lesen könne. Und Unseld flüsterte mir zu, ob mir nicht aufgefallen sei, dass in Boehlichs Haus in der Freiherr-vom-Stein-Straße ständig die Rouleaus heruntergelassen seien, damit der Bewohner ungestört onanieren könne.
Bei aller tiefen, geradezu metaphysischen Verehrung, die Unseld seinem berühmtesten Autor entgegenbrachte, hatte ich das Gefühl, als ließe er es, aus Passion für sein Metier, auf einen riskanten Zweikampf ankommen. Beckett litt unter solch stürmischen Überredungsversuchen. Vor solcher Insistenz warnte nicht zuletzt auch Jerôme Lindon. Dieser zitterte, Becketts wegen, vor der Direktheit und Inständigkeit des deutschen Kollegen. Auf den eleganten, leicht blasierten Lindon wirkte der undiplomatische Unseld denn auch wie ein Mann von einem anderen Stern. Sicher irritierte Unselds Vorgehen Beckett. Aber auf der anderen Seite schätzte er, das bekam ich mit, den deutschen Verleger überaus. Er informierte ihn über Dinge, die Beckett interessieren und quälen mussten.
Dabei hatte Beckett zu einer Zeit, in der die Frage nach dem Stück noch nicht so unerbittlich an die Aufschlüsselung des Titels gekettet war, in einem Gespräch gegenüber dem Freund Sam Szafran erwähnt, dass der Titel auf den irischen Fluch »God-oh« zurückgehe. Bei einem Gespräch über die weitgehend pathologischen Ausdeutungsversuche, die das Stück auszuhalten hatte, erzählte Unseld, dass nicht nur der Versuch unternommen wurde, in diesem Text so etwas wie ein Offenbarungsspektakel zu entdecken. Daneben stand Godot als politisch-soziales Rezeptbuch. Den Bericht des Verlegers, man habe in den nachgelassenen Papieren von Brecht Hinweise auf dessen Bearbeitung des Stücks gefunden, die Pozzo als einen Herrn von Pozzo einführe und aus dem Verhältnis von Pozzo und Lucky den dialektisch notwendigen, aber zu überwindenden Gegensatz von Ausbeuter und Hungerleider machte, schätzte Beckett überhaupt nicht. Erregt fragte er, wie es käme, dass sich Brecht eine solche Freiheit nehmen konnte. Er hasste jede Vereinnahmung. Auch dass man seine Texte wie die Kafkas auf kaschierte Christlichkeit abklopfte, akzeptierte Beckett nicht. Sehr schnell wurde mir klar, dass Nachfragen bei Beckett selbst sinnlos waren. Kein Zweifel, seine Romane, Theaterstücke und Texte sind nicht einfach destruktive Umsetzungen der selbstbewussten Position eines Kritizismus, den die Absage an Metaphysik übriggelassen hat. Wenn Godot ausbleibt, dann haben wir darin auch eine logische Rüge zu erkennen, eine Rüge wie die Wittgensteins, die sich dagegen wehrt, dass in der Frage eine Existenz bereits präjudiziert wäre.
Samuel Beckett und Werner Spies
Im übrigen respektierte Beckett Unselds verlegerische Leistung und seinen hohen Einsatz. Der Mann, der die Literatur, die Geisteswissenschaften, die Ideen der Zeit aktiv verfolgte und veröffentlichte, war für ihn ein willkommener Gesprächspartner. Er fragte ihn
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