Mein Glueck
und der Padre Martino Martini, ein Verehrer von Gina Lollobrigida, empfing uns mit einer geradezu feurigen Nächstenliebe. Beim Besuch der Sixtina, die man eben renovierte, kommentierte er das Resultat mit einem Hinweis auf einen Film mit Sophia Loren, den er kürzlich gesehen habe: Er sei sehr enttäuscht gewesen, als sie den Schleier, der sie anfangs auf so bezaubernde Weise verhüllte, hätte abnehmen müssen.
Über Guttuso lernte ich auch Andreotti und dessen Frau Livia kennen, die mich einlud, sie zur Eröffnung der restaurierten Sixtinischen Kapelle zu begleiten. Was ich hier erlebte, war folgenreich. Um Sehen in unserer Zeit geht es in der neuen Sixtina. Nicht umsonst hat die Firma Nippon Television die dreizehnjährige Restaurierungskampagne bezahlt. Denn an diesem gewaltigen Ort spielt sich, das erkannten die Japaner, die Gigantomachie zwischen der Malerei und den neuen Medien ab. Die Sixtina war bei der Eröffnung der Mondovision zuliebe in gleißendes Licht getaucht. Eine Welt des Sehens wurde begraben, die Kommerzialisierung von hochgetunten Bildern kanonisiert. Dieses Datum hatte für den Umgang mit Kunst kaum absehbare Folgen. Denn die Sixtina wird in jener Version in den Köpfen leben, die die jeweils neuesten Reproduktionsmittel mit der höchsten Auflösung hervorbringen. Das Jüngste Gericht selbst wurde bei der Eröffnung durch das blaue Licht der Scheinwerfer richtiggehend zerstört, negiert und abgeschafft. Papst Johannes Paul II. hielt beim Einzug in die Kirche kurz an unserer Bank an und gab uns einen separaten Segen. Kein Wunder, dass Guttuso, Freund der Andreottis, der in den späten dreißiger Jahren exkommuniziert worden war, zum Entsetzen der kommunistischen Partei in seinen letzten Tagen, wie ein vatikanischer Monsignore in einer Eilmeldung bekanntgab, wieder in den Schoß der Kirche zurückkehren sollte. Ich erinnere mich noch kurz nach dem Tode Guttusos etwas amüsiert an den Schmerz Martas. Sie klagte, der Vatikan habe die Schlösser zu den Safes, in denen sie ihre persönlichen Geschenke von Guttuso verwahrt hatte, auswechseln lassen.
Richard Peduzzi bot uns im April 2007 an, einige Tage in der Villa Medici zu wohnen. Wir bezogen das mit Fresken verzierte »Chambre de Muses« im Appartement du Cardinal, von dem aus man einen Ausblick über die ganze Stadt hatte. In diesem großartigen Raum stand unter der Kassettendecke mit Allegorien der Musen und Planeten das Bett des Kardinals Ferdinando de’ Medici. Beschützt von diesem Himmel, der von Darstellungen der Arbeiten des Herkules eingerahmt ist, hatte Claude Debussy als Pensionär der Académie de France in Rom einige Zeit gelebt.
Auf dem braunen Pleyel-Flügel, der in der Nähe der großen Fenster stand, komponierte er »Rondes de printemps«, »La damoiselle élue« und »Petite suite pour piano«. Sich vorzustellen, dass die bittere Sonorität der »Damoiselle«, die der dissonante Einsatz einer Flöte bis zur Ohnmacht steigert, in diesem Prunk entstehen konnte, war eine tiefe Erfahrung, die darauf verwies, dass Glück und Schönheit allein in ihrer Antithese, im Schmerz spürbar werden.
In dieser Zeit konnte man endlich auch wieder das Museum der Villa Borghese, das jahrelang geschlossen gewesen war, besuchen. Und ich stand erneut erregt vor Tizians Bild »Himmlische und irdische Liebe«, in dem das Gewand der profanen Liebe wie ein gewaltiger, unstillbarer Blutstrom parallel zum nackten Körper emporschießt. Auch entdeckte ich bei diesem Gang, der von Akt zu Akt führte, dass Bernini in seiner Skulptur der Daphne den Effekt von blauen Flecken im marmornen Fleisch zu erzeugen vermochte. Alles Sehen in Rom wurde durch dieses Wiedersehen geschärft – die schwarzen Tulpen hinter der Villa ließen an Alexandre Dumas’ Schwarze Tulpen denken, und der Oculus, der sich im Innenraum des Pantheon oben öffnete, wurde zum Riesenauge, durch das man sich wie bei Turrell in die Tiefe des Himmels stürzen konnte. Auch die Bewegung des Engels von Filippo Lippi in der Carafa-Kapelle von Santa Maria sopra Minerva war mir noch nie so hysterisch erschienen. Und schließlich die Hand in der Rekonstruktion des »Laokoon«, die ihrerseits wieder rekonstruiert worden war: Sie wirkte plötzlich wie eine verräterisch friedliche Geste, die nichts mit dem von Kassandra angekündigten Todeskampf zu tun hatte.
Aus dem generösen Traum Jean Tardieus, Altivole, eine Villa von Palladio in der Nähe von Treviso, zu einer europäischen Stätte der
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