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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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entschieden dem Neuen zuwandte. Die Begeisterung oder der Abscheu, mit denen sie beim Besuch von Galerien und Biennalen nicht hinterm Berg hielt, war für jeden, der dies miterleben durfte, eine Herausforderung. Dieselbe Leidenschaft entdeckte ich bei Hans. Er war ein Mann, der auch immer wieder nein sagen konnte. Und dieses Neinsagen ist sicherlich die Kardinaltugend, die heute fehlt und deren Ausfall dafür verantwortlich ist, dass in der postmodernen Schieberei nicht mehr mit den Kategorien des Leidenschaftlichen, sondern nur noch mit denen des Interessanten gearbeitet wird. Es war eine Qualität der Ehrlichkeit und der Passion, die ein so kritischer Geist wie Max Ernst, der aller Lobhudelei und Anpasserei aus dem Wege ging, bei unserem Freund liebte und schätzte.
    Beckett hatte mir bei einem ersten Treffen bereits seine Antwort auf die Frage nach der Eigenständigkeit von Hörspielen gegeben. Für ihn waren die unterschiedlichen Medien jeweils nur einspurig befahrbar. Man habe bei ihm angefragt, erzählte er, eines seiner Stücke, »Alle die da fallen«, das er für den Rundfunk geschrieben hatte, auf die Bühne bringen zu dürfen. Er habe darauf geantwortet, er sei damit einverstanden unter der Bedingung, dass der Vorhang geschlossen bleibe. Man spürte hinter dieser ironischen Replik, wie sehr er sich über die Übertretung der Gattungsgrenze ärgerte. Für ihn existierte eine klare Trennung, an die sich Nathalie Sarraute, die ihre Texte zunächst für den Stuttgarter Rundfunk schrieb, später nicht halten wollte. Dass ihre Hörfunkstücke auf der Bühne große Erfolge wurden, war möglich, weil sie in ihren Dialogen die visuellen Momente ausgelagert hatte. Es ging um die Sprache unterhalb der Sprache und um die Zwischentöne, die das Gesagte sofort wieder in Frage stellten. Sie unterminierte das Sichtbare durch eine völlig neue Art von Dialog.
    Nach meiner Rückkehr von der ersten kurzen Exkursion zu den Autoren erzählte ich in Stuttgart den Kollegen voller Passion von den Begegnungen und Absprachen mit Beckett, Marguerite Duras, Robbe-Grillet oder Césaire, dem bedeutenden Vertreter der Negritude in Frankreich und Abgeordneten von Martinique, der zeitlebens einen unerschrockenen Kampf gegen den Kolonialismus führen sollte. Cläre Schimmel, die nicht gerade subtile Leiterin der Hörspielabteilung des Süddeutschen Rundfunks, fragte mich, offensichtlich entflammt von in Aussicht stehenden Begegnungen, ob dieser Robbe-Grillet wie Aimé Césaire aus den Antillen auch ein Neger sei. Eine größere Kenntnis von der Literatur und der Sensibilität der Nachbarn war weiß Gott nicht vorhanden. Allein Schale und Heißenbüttel und ein Mitarbeiter, Manfred Esser, der Vater des späteren Fotokünstlers Elger Esser aus der Becher-Klasse in Düsseldorf, beschäftigten sich voller Bewunderung mit der zeitgenössischen französischen Literatur. Mein folgenreichster Besuch, der im Oktober 1961 zu Beckett führte, galt jedoch dem Verleger Jérôme Lindon, in dessen Editions de Minuit so gut wie alle Autoren, die mich anzogen, verlegt wurden. Als ich ihn erstmals in seinem winzigen Büro in der Rue Bernard Palissy im Quartier Saint-Germain aufsuchte, gehörte diese Visite, und das wusste ich seltsamerweise schon im voraus, zu den wichtigsten Ereignissen in meinem Leben und war die Erfüllung eines langgehegten Wunsches. Der Gang zu Lindon war für mich ein Gang zu Klarheiten und Überzeugungen, wie ich ihn nur wenige Male gehen konnte. Er führte zu einem Menschen, der in Frankreich wie kein anderer für das Schreiben der Zeit einstand. Die französische Literatur kulminierte damals ohne Zweifel in den Autoren seines kleinen Hauses. Lindons Leistung erinnerte mich an die Kahnweilers. Und sie interessierte mich auf vergleichbare Weise. Hier die Heroen des Kubismus, dort die Heroen des Nouveau Roman. In beiden Fällen ging es um eine Rationalität, die sich, getrieben von Argwohn und Zweifel, mit der Vorstellung von Realität in spannender Weise auseinandersetzte. Zwei radikale und folgenreiche Revolutionen blieben jeweils mit dem Dezisionismus und der Überzeugung eines Mannes verbunden. Ist Lindons Urteilsvermögen nicht ebenso unerklärlich wie das des jungen Deutschen vor dem Ersten Weltkrieg, der sich in Paris mit einer schlafwandlerischen Sicherheit die größten und ungewohntesten Werke sicherte? Die Parallele drängt sich auf: Alle anderen hatten sich erschreckt vom Maler der »Demoiselles d’Avignon« abgewandt,

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