Mein Glueck
Spuren zum Wahnsinn treibt. Vielleicht ist der Grund hierfür, dass Persönliches nur mit größter Sparsamkeit hervortreten durfte. Inmitten der irrwitzig einleuchtenden Welt, die Beckett in seinem Roman Watt schildert, begegnen wir der Aufforderung: »Weh dem, der Symbole sieht.« Doch dieser Satz scheint alles andere als eine Warnung zu sein, gerade in diesem Bannkreis nach Hintergründigem zu suchen.
Man nimmt die Aufforderung hin, als Antiphrase, denn der Hinweis lädt dazu ein, nach Hintergründigem zu suchen, das in diesem Bannkreis möglich erscheint. Das Haus Nr. 38 am breiten Boulevard Saint-Jacques, den in der Mitte die laute Metrolinie durchschneidet, liegt zwischen einer Garage und der Première Église du Christ Scientiste, einem zweigeschossigen Bau aus Klinker, über dessen Eingang eine voluminöse kristalline Glaswand schwebt. Die Garage ist heute verschwunden, verschwunden ist inzwischen auch das Namensschild, das noch Jahre nach dem Tode in der Handschrift Becketts am Eingang den ehemaligen Bewohner anzeigte. Vor Ort gibt es keinerlei Erinnerung mehr, auch keine Gedenktafel erinnert an diesen Platz. Man muss seine Lust an Miserabilismus und Traurigkeit bündeln, um hier ein Leben à la Beckett zu entdecken. Dazu zählen allenfalls die Blinden, die man heute wie Brüder des Hamm aus dem Endspiel erlebt. Sie tasten sich mit weißen Stöcken durch den Eingang am Boulevard Saint-Jacques. Man mag sie als Botschafter einer Präsenz verstehen, die Beckett im »Film« mit Buster Keaton und seiner schwarzen Augenklappe auf unvergessliche Weise vorgeführt hat.
Das einzige, was in der Umgebung seiner Wohnung offiziell an Beckett erinnert, ist ein abstruser Ort. Es ist die »Allée Samuel Beckett«. So nennt sich der nur wenige Meter breite, von Platanen bestandene Mittelstreifen in der Avenue du Président Coty. Die »Allée Samuel Beckett« gilt nicht als Anschrift für irgendein Gebäude, die Häuser tragen vielmehr den Namen des Président Coty, dessen Avenue den schmalen, Beckett gewidmeten Streifen machtvoll umschlingt. Kein einziger Bewohner der Straße könnte mit seiner Visitenkarte auf das handtuchbreite armselige Band verweisen, mit dem die Stadt Paris Samuel Beckett zu ehren sucht. Auf dem grünen Schlauch, in dessen spärliche Grasnarbe sich dichtes Efeu gefressen hat, führen Menschen allenfalls Hunde aus oder lassen sich auf einer Bank nieder. Steckt der Autor des apokalyptischen Textes »Der Verwaiser« hinter der topographischen Absurdität dieser Zone, die nach einem der von Beckett besessenen Arbeiten des Künstlers Bruce Nauman richtiger »Beckett Walk« heißen sollte? Als Inszenierung der Ärmlichkeit könnte dieser Ort nicht schärfer dem Werk entsprechen.
Nehmen wir ein anderes Bild, das sich an die biographischen Minima hält, ein Bild von Verlassenheit und Souveränität in der Einsamkeit: Beckett steht vor seinem eingeschossigen kleinen Häuschen in Ussy an der Marne, im »Marnesumpf«, wie er gerne zu sagen pflegte. Er erwartet dort Elmar Tophoven und mich. Er hat die zwei Räume in den fünfziger Jahren bauen lassen. Innen hängen Moskitonetze, an der Wand eine Studie zu Henri Haydens »Musiciens«. Hinterm Haus steht eine Remise mit der Mähmaschine und dem grauen Deux-Chevaux. Er ist uralt, und Sam meint: »Ich liebe alte Dinge.« Ein zwanzig Meter tiefes Waldstück begrenzt auf der einen Seite das Terrain. Jenseits der Eingrenzung geht das Grundstück nach Westen zu weiter. Der weiße Bau mit seinen metallenen Fensterläden und den zwei Kaminen auf dem hellen Dach steht auf einem gepflegten, kurz geschorenen Grasteppich. Auf der Rückseite führen drei Stufen vom Rasen zur braunen Tür. Eine weiße Mauer aus Konglomeratgestein umgibt einen Teil des Terrains. Beckett stochert, einen Papierkorb in der Hand, mit einem rußgeschwärzten Stock in helllodernden Flammen. Die Szene bleibt mir in die Erinnerung eingebrannt. Er verbrenne, meinte er lächelnd, »kompromittierende Dokumente«. Dieses Feuer war eine ebenso effektive wie sinnbildliche Verrichtung, die alle diejenigen, die das Glück und das Privileg hatten, mit ihm Umgang zu haben, dazu auffordern sollte, auf die Kolportage von Intimitäten zu verzichten. Beckett verabscheute die Indiskretion und die biographische Enthüllung, wie er auch allen pedantischen Deutungen, die sich über seine Texte und Stücke stülpen, immer abweisend gegenüberstand. Deshalb wiegelte er auch lange Zeit Versuche ab, ihn mit Fragen zu
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