Mein Glueck
Gegenwart des Gewissens und der unauslöschlichen Erinnerung verstehen lässt.
Wir saßen in der Wohnung zumeist an einem einfachen Tisch. Er bestand aus einer Sperrholzplatte, die auf zwei Böcken ruhte. Alles war einfach. Ich dachte an eine Beschreibung, die Beckett in Watt gibt: »Denn außer, erstens, der Bedürfnislosigkeit und, zweitens, eines Zeugen seiner Bedürfnislosigkeit bedurfte Knott nichts.« Doch Beckett selbst brauchte nicht einmal einen Beobachter. In den letzten Jahren traf man sich seltener in der Wohnung und immer häufiger in dem schräg gegenüber dem Appartement gelegenen »Café Français«. Im Café erschien Beckett mit einer kleinen braunen Einkaufstasche, mit der er Besorgungen machen wollte. Doch wenn er etwas später vom Markt zurückkam, erinnerte die magere Tasche an den Zustand der engbrüstigen Dame, deren »dünne Lippen und dorisches Becken« er in Murphy beschreibt. An der Wand im Wohnzimmer hingen als einziger Schmuck zwei Bilder, ein frühes Ölgemälde und eine Gouache, die ihm Bram van Velde geschenkt hatte. »Ohne Titel« aus den späten dreißiger Jahren war von Schrunden und Krakelüren überwuchert. Es forderte den Besucher der Wohnung geradezu dazu auf, den Mythos des Besitzers im Bild an der Wand wiederzuerkennen, den zerfressenen Blick des Beckett der Aschenglut , des Beckett der zerfallenden, abstrusen Accessoires, die seine Figuren in ihrer Agonie durchs Leben schleppen. Diese Versatzstücke stehen näher beim verklärenden Griff nach dem durchgesessenen Stuhl, dem abgewetzten Schuh, eben bei der Magie, die van Gogh entworfen hat, als bei der sachlichen spätkubistischen Deklination der Dingwelt, die sich in der École de Paris wie auch gleichzeitig im Frühwerk Gorkys oder de Koonings nach und nach in Gegenstandslosigkeit auflöste.
Beckett war überaus bedrückt darüber, dass Bram van Velde so sehr zu leiden schien. Wie im Umgang mit Arikha zählte weniger das Werk als das Mitleid. Im Dezember 1970 meinte er auf den Freund und seine Bilder bezogen: »Fünfzig Jahre Qualen.« In einem Text, den Beckett bereits in den vierziger Jahren Bram widmete, grenzt er sich und dieses Werk von dem desperaten Humanismus der Nachkriegszeit ab. Die Formel, van Velde sei ein Maler ohne Wunsch und ohne Kraft, sich auszudrücken, der sich aber dennoch ausdrücken muss, erscheint wie eine Antwort auf den Existentialismus, der die Abwesenheit von Sinn zu heroisieren sucht. Kein Zweifel, Becketts Kommentar durchbricht die Blockade des Unerklärbaren, auf die wir bei van Velde stoßen, auf neue Weise, nicht durch die Suche nach sprachlichen Äquivalenten, sondern in der Fixierung einer überraschend konzeptuellen Haltung, die ihn mehr in die Nähe Duchamps als der Maler der École de Paris rückt. In einem Brief Becketts lesen wir über den »Maler der Verhinderung«: »Bram ist mir tief verwandt.« Denn was sich hier beim Freund feststellen lasse: Er male das, was am Malen hindere. Bram van Veldes fortuna critica lebt üppig von der Zuwendung Becketts. Wenn sein Werk einen Platz in der Geschichte haben wird, dann sicher auch dank Beckett.
Deshalb erschien es mir grotesk, dass im Katalog zur Pariser Retrospektive nun gar die Vermutung angestellt wurde, Becketts Eintreten für diesen Mann habe das Werk selbst verdunkelt. Der Bezug zu Bram van Velde beschäftigte Beckett, anders als Jasper Johns, der 1976 Becketts Foirades/Fizzles für die Petersburg Press mit Radierungen illustrierte. Er zeigte sich, als wir darüber sprachen, gegenüber dem Resultat einigermaßen skeptisch. Eines Tages hatte Beckett auch diese Bilder abgehängt. Es war nach dem Tode von Bram. Ich fragte nach ihnen. Er hatte sie dem Centre Pompidou geschenkt. Die Wände blieben leer. Er selbst, meinte er, brauche jetzt keine Bilder mehr. Das fiel im übrigen in die Zeit, in der erfolgreich seine Augen operiert worden waren. Vor der Intervention hatte er mir angekündigt: »Im Frühjahr werde ich diesen charmanten Planeten erneut sehen.« Und er kommentierte das Ergebnis: »Ich sehe fabelhaft in die Weite, besser als je zuvor.« Und er fügte hinzu: »Ich sehe nun zu genau.«
Die Bücher Becketts sind voller Hinweise auf Museen und Bilder. Nehmen wir nur Watt . Er vergleicht dessen geschundenes Gesicht mit dem »Ecce Homo« Boschs in der National Gallery. Und im Buch entwirft er auch eines der imaginären Bilder, die in die Nähe des Konstruktivismus führen. Er beschreibt ein Gemälde an der Wand des Hauses, in dem
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