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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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behelligen, die sein Leben betrafen. Eine böse Sache hatte sich zwischen dem deutschen Fernsehen und Beckett abgespielt. Ohne Becketts Einwilligung und entgegen seiner energischen Weigerung, an einer ihm gewidmeten Sendung des Dritten Programms des Bayerischen Fernsehens mitzuwirken, erschlich sich der Regisseur Noever Bild- und Tonmaterial. Ein Kameramann war mit dem Teleobjektiv auf das Dach eines Nachbarhauses geklettert und hatte Beckett in seiner Wohnung gefilmt. Das trübte, drei Jahre nach der Produktion von He Joe , vorübergehend auch die hervorragenden Beziehungen zum Süddeutschen Rundfunk. Tophoven und ich hatten den Produzenten eindringlich davor gewarnt, Druck auf Beckett auszuüben oder Hausbewohner zum Sprechen aufzufordern und vor die Kamera zu bringen. Beckett bat seine Freunde, ihm zu helfen. In einem Brief an den Fernsehdirektor forderte ich, dass die ARD beim Bayerischen Rundfunk Protest einlegen solle, um die Ausstrahlung der vier Minuten in dem Film »Wie es war« zu verhindern. Den Tabubruch, das gewaltsame Eindringen in die Intimität der Wohnung, fand Beckett abstoßend. Warum sollte die Rätselhaftigkeit, die er für sein Werk und für die eigene Person so ausdrücklich in Anspruch nahm, von anderen missachtet werden?
    In der Hütte im »Marnesumpf« lagen Kriminalromane von Rex Stout herum. Sie erschienen wie ein Symbol für ein Leben, das sich im Kopf abspielt und das auf die Außenwelt verzichten kann: Nero Wolfe löst seine Fälle von zu Hause aus. Er brauchte keine Anschauung, auch wenn er ein andermal meinte, alles in seiner Arbeit beziehe sich auf Bilder. Wörtlich sagte er: »Mein Blick ist überhaupt nicht auf die äußere Welt gerichtet.« Eine Stelle in Warten auf Godot , wo Wladimir und Estragon ihre metaphysische Lähmung überprüfen, entspricht dieser Auffassung: »Lass sehen – Es gibt nichts zu sehen.« Das ist die »windowlessness« der Monade, die für Beckett so wichtig war. Seine visuellen Vorstellungen nähmen – so meinte er – nicht den Weg übers leibliche Auge. Nichts hält dies eindrucksvoller fest als der Satz, mit dem Molloy endet: »Dann ging er in das Haus zurück und schrieb: ›Es ist Mitternacht. Der Regen peitscht gegen die Scheiben.‹ Es war nicht Mitternacht. Es regnete nicht.«
    Vor seinem sechzigsten Geburtstag erkundigte ich mich, was er sich wünsche, mit was man ihm eine Freude machen könne. Seine enge Freundin Barbara Bray riet zu Klaviersonaten von Haydn und fügte hinzu, dass man diese aber in der Edition Peters besorgen solle. Am 17. April 1966 bedankte sich Beckett: »Sechzigmal Dank. Das berührt mich überaus. Das ist das Geschenk, das ich mir auch machen wollte. Jetzt fehlt nur noch das Klavier. Aber es ist unterwegs. Von Herzen Sam.« In Ussy lag Becketts Lieblingsrefugium, das er aufsuchte, solange er noch selbst seinen Wagen, einen Deux-Chevaux, fahren konnte. Bäume und Kies umgaben das Haus. Nirgendwo blühte etwas. Sein Verzicht auf Blumen erinnert mich an einen der gemeinsamen Aufenthalte in Stuttgart. Beckett inszenierte in den Studios des Süddeutschen Rundfunks. Vom »Hotel Berg« in Cannstatt aus gingen wir spazieren. Er ging immer sehr schnell. Wenn es regnete und ich einen Schirm aufspannte und ihn über ihn hielt, behagte ihm dies offenbar nicht, und er reagierte schnell und barsch mit dem Hinweis, dass er keinen Regenschirm brauche. In diesem Jahr fand in Stuttgart die Bundesgartenschau statt. Während seines zweiwöchigen Aufenthalts war Beckett schon auf dem Gelände herumgewandert. Mein Vorschlag, auch jetzt dorthin zu marschieren, lehnte er ab mit der Begründung, er könne nun einfach keine Blumen mehr sehen. Wir sollten doch einfach im grünen Park der Villa Berg bleiben. Er hatte sich zuvor eine Dauerkarte, den »Erlebnispass« der Gartenschau für Pensionäre, kaufen müssen. Die Frau an der Kasse hatte ihn gefragt, ob er Rentner sei. Er verneinte dies. Doch die Schwäbin insistierte: »Sie sind doch sicher älter als siebzig.« »Das kann ich nicht verneinen«, war die Antwort. »Dann haben Sie Anrecht auf eine Rentnerkarte.« Zur Erinnerung an die Stuttgarter Flucht vor Beeten und Rabatten übersandte mir Beckett nach der Rückkehr nach Paris diese Dauerkarte, in die er als Wohnort »Parkhotel Stuttgart« eingetragen hatte.
    Der Blick aus den Fenstern der Wohnung am Boulevard Saint-Jacques fiel auf die finstere Santé, in deren Hof in den Jahren, da ich Beckett erstmals besuchte, noch eine Guillotine stand.

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