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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Bildern von Eugène Boudin, des letzten genauen Landschaftsmalers unter den großen Impressionisten, kannten. Diese Ebbe hatte auch Proust gesehen. Alles war an der ständig sich verschiebenden Grenze zum Wasser voller Agitation. Unzählige Möwen versammelten sich, trugen Muscheln in die Luft und ließen sie fallen, um sie aufzubrechen. Auf einen Schlag schien die Vorstellung von verlorener Zeit aufgehoben. Das Atmen und Schauen Prousts fiel mit unserem zusammen. An diesem Ufer geht von Fels und Strand die magische Aufforderung zu dem Passeismus aus, den ich bei dem Zusammensein mit Marguerite Duras und Delphine Seyrig in der »Résidence des Roches Noires« in Trouville erleben durfte.
    In der Nähe fanden die Dreharbeiten für »La Musica« statt. Die Replik, die ich im Film Marguerite Duras zu geben hatte, »tout cela c’est de la littérature«, fiel allerdings der Montage zum Opfer. Die geisterhafte Verführung in »Marienbad« erschien mir als Vorstellung dessen, was Pygmalion Robbe-Grillet wohl anstrebte, eine Mischung aus Angelismus und Ausschweifung, die im Laufe der Jahre in den Büchern immer stärker hervortrat. Nichts lässt sich in diesem Film datieren. Die Zerstörung der Chronologie bringt den irrealen Effekt zustande. Seine Texte wurden von der Übernähe zu Sade und zur Geschichte der O im Laufe der Jahre mehr und mehr erdrückt. In den fiebrigen Passagen verlor der Autor die Distanz, die ihn in seinen frühen, bis ins Detail konstruierten Texten in die Nähe der Artifizialität Raymond Roussels und der Strenge des Code Civil rückte. Der Film »La belle captive« oder das späte Buch Un roman sentimental , das nur versiegelt und mit nicht aufgeschnittenen Seiten in den Buchhandlungen ausgelegt werden durfte, spielten mit dem Exzess und mit jener blasphemischen Genauigkeit, über die Pascal befunden hatte: »Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und unglücklicherweise wird, wer den Engel spielt, zum Tier.« Robbe-Grillet erschien mir auf den ersten Blick als ein von Ironie zerfressenes, zynisches Wesen, in dessen Verhalten die Herkunft aus der strengen Welt der Statistik zu erkennen war. Statistisches war auch in seinen erotischen Variationen und in den Zeremonien wiederzuerkennen, die seine Frau Jacqueline unter dem Pseudonym Jean de Berg im normannischen Schloss und unter Brücken organisierte. Die Attitüde, skeptisch neben sich und den anderen zu stehen, bewahrte er bis in die letzten Jahre.

Glückliche Jahre – Samuel Beckett

Lindon und Robbe-Grillet schlugen mir vor, dass sie sofort mit Beckett Kontakt aufnehmen und für ein Treffen mit ihm sorgen würden. Lindon meinte wörtlich: »Oui, je vais faire le nécessaire.« Es war eine Zeit, in der noch kaum etwas telefonisch erledigt wurde. »Je vais dire ça à Sam«, fügte Lindon hinzu, »ich sehe ihn heute.« Am Tag danach erhielt ich tatsächlich in meinem Hotel einen »pneu«, einen Rohrpostbrief. Alle Pariser Postämter waren durch ein Röhrensystem miteinander verbunden. Die Nachrichten wurden, wie Telegramme, sofort ausgetragen. Es war eine fast körperliche Form der Kommunikation, da sie den Empfänger, an den die Nachricht abgeschossen wurde, direkt zu treffen schien.
    Bereits am folgenden Tag kam es zum ersten Besuch bei Beckett. Der Weg führte ins vierzehnte Arrondissement, in eine Klause im achten, dem obersten Stock eines auch für dieses Viertel unverhältnismäßig hohen, schmucklosen Neubaus am Boulevard Saint-Jacques. Es war ein Gang voller Erwartung, wie später der zu Picasso, zu Duchamp oder Max Ernst. Für solche Momente versucht man im voraus eine eigene Dramaturgie zu entwerfen. Ich wusste, dass dieser Mann nach Kafka das gewaltigste Fragewerk in Gang gesetzt hatte und dass er mit dem Blick seiner bohrenden strahlendblauen Augen jeden Anflug einer Frage verzischen lassen konnte. Grauer Tweed, weitmaschiger schwarzer Pullover, die Brille auf die Stirn gezogen und Zigarillo. Es waren, wie ich später feststellte, die Augen Max Ernsts, die mich da anblickten, die mich offensichtlich prüften. Auch sie konnten, falls nötig, vom einen zum nächsten Wimpernschlag vereisen. Doch im Grunde gehörte Beckett zu den barmherzigsten und behutsamsten Menschen, die ich je kennengelernt habe. Man entdeckt das Mitleid bei ihm bereits in den ersten Texten, in der Kurzgeschichte »Dante und der Hummer«, in der der danteske Student Belacqua voller Horror mit ansehen muss, wie die Wirtin einen lebenden Hummer zum Kochen ins siedende

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