Mein Glueck
in Kneipen auf der Schwäbischen Alb oder auf den Fildern, obwohl es dort wirklich, auch wenn er darauf jedes Mal erneut hoffte, keine fangfrischen Fische gab. Unsere abendlichen Ausflüge fanden in einer gelösten Stimmung statt, waren voll Heiterkeit. Und jeden Abend, im Hotel angekommen, rief er Suzanne in Paris an und gab ihr einen lakonischen Bericht über den Tag. Beckett behagte alles, offensichtlich selbst die Tristesse, die die Neckarstraße zwischen Funkhaus und Staatstheater auf so unvergleichliche Weise serviert. In Flötentönen hat er diesem abscheulichen Nicht-Ort, der ihn mit seinem Gestank und Verkehrslärm auf beißende Weise anrempeln musste, ein Denkmal gesetzt: »Der Anreiz des Nichts ist dort nicht mehr das, was er einmal war, weil man eben den sehr starken Verdacht hat, längst mittendrin zu sein.«
Max Ernst und Werner Spies
Nach kurzer Zeit war zu den Hörspielen Becketts die Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Fernsehen getreten. Als ersten Text übergab er mir 1966 das Einpersonenstück He Joe . Bis 1986 folgten noch weitere sieben, wie er in einem Brief notiert, »crazy inventions«, bei denen er regelmäßig selbst in Stuttgart hinter der Kamera stand. Alle diese letztlich mathematischen Stücke, die einer strengen Partitur folgten, erscheinen uns heute auch als wichtige Beiträge zur bildenden Kunst, zur Performance. Beckett dringt bei seinen Inszenierungen zentimetergenau in den Raum ein. Die Fahrt der Kamera zum Kopf Joes lässt keine Improvisation zu. Beckett wollte zuerst das Plateau vermessen, auf dem das Stück spielte. Er meinte, falls die Bühne etwas kleiner sei, als in seiner Inszenierung vorgesehen, müsse er, um genau die Länge von neunundzwanzig Minuten zu erreichen, alle Gänge und Bewegungen des Schauspielers verlangsamen. Als er mir in Paris das Manuskript übergab, fragte ich, wer denn das Stück He Joe in Stuttgart inszenieren solle. Und er antwortete: »Könnte ich das nicht selbst übernehmen?« Wir waren selbstverständlich alle hell begeistert. Für die Inszenierung reisten wir am 26. März 1966 für zwei Wochen nach Stuttgart und installierten uns im »Parkhotel« unterhalb der Villa Berg. Er schlug als Bühnenbildner den Freund und Künstler Matias vor. Auf dem Flughafen Orly trafen wir uns. Matias trug eine Schuhschachtel, in der er das Modell seines Bühnenbilds aufbewahrte.
Ich fand es jammerschade, für diese exzeptionelle Premiere nicht höher zu greifen. Einige Zeit vor Produktionsbeginn hatte ich Alberto Giacometti in seinem Atelier in der Rue Hippolyte-Maindron erzählt, dass mir Beckett ein Stück für den Süddeutschen Rundfunk gegeben hatte. Er arbeitete gerade an einer Büste von Eli Lotar, dem Fotografen, der die Surrealisten mit seinen Schlachthausbildern erregt hatte. Der Anblick von Giacomettis schrundigem, wie mit den eigenen Techniken gestalteten Gesicht begleitet einen auch bei der Begegnung mit dessen Werk. Selbst aus nächster Nähe gesehen, bleiben die Werke dem Auge fern. Endpunkt der Begegnung ist Starre. In diese verweist Giacometti den Betrachter. Paralysiert, wie von einer Schlange arretiert, steht der Betrachter vor den hochgereckten Menschenstäben. Die scharfen Silhouetten springen einen an, klappen wie Messer auf. Die Statuen und Büsten stechen ihre eigene Grenze in den Raum. Auch bei der Arbeit an der Büste von Eli Lotar nahm Giacometti immer mehr Materie weg und kommentierte: »Der Gedanke, dass man vier Leute braucht, um eine Skulptur von ihrem Platz zu bewegen, schien mir immer absurd.« Ich musste an Becketts Glückliche Tage denken, in denen Winnie nach und nach in den Erdboden versinkt. Die Gestalten stehen im Atelier, eine hinter der anderen, hieratisch da: Ganzfiguren, Büsten, Köpfe auf Sockeln. Meine Erinnerung an den Künstler in seinem Atelier wäre mit dem Wort Bildhavarie zu umschreiben: Mit jeder Faser lebte er die Unfähigkeit vor, eine Arbeit zu beenden oder eine Arbeit als abgeschlossen gelten zu lassen: Im Gespräch sagte er mir dazu einmal, nach Cézanne sei es unmöglich, ein Bild oder eine Skulptur zu Ende zu bringen. Dies mündete bei ihm in die so berühmten Zerstörungen seines Tagwerks, in dieses endlose, entschlusslose, scheinbar nur durch die eigene Müdigkeit begrenzte Umarbeiten eines Gesichts, einer Figur. Ich fragte Giacometti während einer Pause im Café nebenan, ob es ihn nicht locken könne, sich an diesem Projekt von Beckett zu beteiligen. Ich sehe noch die Szene vor mir. Giacometti aß
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