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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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die Unterhaltung im Salon mit den gelben Sofas und Sesseln: »Sam, ich habe keinen Stuhl, der hart genug für Sie ist.« Die Antwort Becketts kam wie aus der Pistole geschossen: »Max, ich bin glücklich in Ihrem weichsten Sessel.« Es wurde ein Gespräch, in dem es um Politik ging, in dem Erinnerungen an Transition von Jolas ausgetauscht wurden. Beckett hatte dafür in den dreißiger Jahren eine Reihe von Texten von Éluard, Breton, Crevel und Soupault ins Englische übertragen. Der Name der Circe Peggy Guggenheim, der beide auf amouröse Weise verbunden gewesen waren, kam im Gespräch nicht vor. Ich dachte an die Frage, die Peggy einst dem Liebhaber Beckett, der zumeist wie Gontscharows Oblomow im Bett blieb, stellte. Sie wollte von ihm wissen, welche Konsequenzen das Abenteuer mit ihr für ihn haben würde. Becketts Antwort war einfach: »Überhaupt keine.«
    Beckett sprach von seiner Schwierigkeit zu schreiben. Darauf hatte jemand wie Max Ernst, der selbst die Spontaneität immer auf kontrollierte Weise einsetzte, nichts Tröstendes zu antworten. Beckett erklärte, er sei nun dabei, seine englischen Texte ins Französische und die französischen in Englische zu übertragen. Das lenkte die Unterhaltung auf den emotionalen Unterschied zwischen den Sprachen, auf die Unmöglichkeit, den Asymptoten des Wortschatzes zu entgehen. Nur Dorothea, die begeistert dabeisaß, brachte Einwände und Vorschläge, die den sonst so quietistischen Beckett offenkundig irritierten. Als ich schließlich vorschlug, sie sollten doch als Erinnerung an dieses doch eigentlich historische Treffen zusammen ein Buch veröffentlichen, waren beide mit Freuden dazu bereit. Beckett übergab mir kurz danach einen Text, der programmatisch mit dem Scheitern und mit der Schwierigkeit des Schreibens spielte: »Aus einem aufgegebenen Werk« hieß das Manuskript, das ich Max Ernst überbringen durfte. Und im Zeichen ihrer dreisprachigen Begegnung, in der ständig französische, englische und deutsche Sätze und Zitate auftauchten, beschlossen beide, den Text in drei Sprachen zu publizieren. Die englische und französische Fassung stammte von Beckett, und die deutsche lieferte Elmar Tophoven. Max Ernst steuerte drei Zustände einer Radierung bei, die Georges Visat in seinem Pariser Atelier druckte. Eine blaue Variante für die englische, eine grüne für die französische und eine gelbe für die deutsche Version.
    Die Arbeit für das Fernsehen und für Stuttgart half Beckett, das Verstummen, in das sein Schreiben nach und nach verfiel, zu artikulieren. Später, als ich 1972 während der Olympischen Spiele zusammen mit Peter Schamoni in den Münchner Kammerspielen unter dem Titel »Endlose Spiele bereiten sich vor« Texte und Szenen von Max Ernst auf die Bühne brachte, bat ich Beckett, für das Programmheft etwas zu schreiben. Bereitwillig tat er dies und übergab mir den Satz: »Je salue longtemps et sans phrases le fauteur de ce NON bâtisseur!« Dieser prägnante Satz lässt sich kaum auf Deutsch wiedergeben. Zu stark ist die Mimese, mit der Beckett das »Nein« zwischen zwei grundsätzlichen Bedeutungen einbettend, Max Ernsts Collagetechnik im Sprachlichen vorführt. Dem Sinne nach: Beckett grüßt unumwunden den Anstifter zum großartigen, grundlegenden Nein. Auffallend ist, dass die Wiederholung der Verneinung wie das Äquivalent der zwei Blätter einer Schere, Technik und Inhalt der Collage von Max Ernst in Worte fasst. Heute erkennen wir, dass Max Ernsts Verneinung, seine Hinwendung zu einer verachteten Bildwelt, die noch seine eigene Kindheit berührt hatte, ihre Energie daraus bezieht, dass von ihm als einzigem diese verfallenen Bilder auf schmerzhafte Weise akzeptiert wurden. Angesichts der Szenen kommt einem Andersens kleine Seejungfrau in den Sinn, die, um in die ersehnte Welt überm Wasser zu gelangen, ihre Zunge und ihren Fischschwanz gegen Beine einzutauschen hatte. Sie ist bereit, bei jedem Schritt in ein glühendes Messer zu treten. Die immer wiederkehrenden Reisen nach Stuttgart gehörten zu einer guten Zeit, die ich mit den neuen Freunden am Funk, Hans Bausch, Reinhard Müller-Freienfels, Hans-Jochen Schale, und mit irischem John Powers Gold Label, den Beckett brauchte, durchlebte. Für alle waren es »glückliche Tage«. Eindrucksvoll war Becketts Umgang mit den Menschen, und zwar mit allen, die seinen Weg im Studio kreuzten. Größere Ablenkungen während dieser arbeitsamen Tage gab es nicht. Er mochte die Landschaft, die Ausflüge

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