Mein Glueck
Watt lebt. Es zeigt einen Kreis, aus dessen perfektem Rund ein kleines Stück herausgebrochen ist, das perspektivisch weder dem Vorder- noch dem Hintergrund des Bildes eindeutig zuzuordnen ist und das zu schweben scheint. All dies gehöre, so meinte Beckett, zu einer imaginären Arbeit. Der Kreis und seine Umdeutung ins Quadrat, das passt sehr wohl in die Welt der pseudomathematischen Schlüssigkeit, die in dieser und in anderen Schriften Becketts zu halluzinatorischen Berechnungen führt. Das unkalkulierbare, transzendentale Pi muss sich Watts Antwortfreudigkeit entziehen. Vielleicht, dass Watt dieses Bild, als visualisierte Nicht-Antwort (als definitives »Knott-Nothing«), in die geistige Wirre stürzt, die er anschließend in Realzeit im Asyl durchlebt. Nicht ungern sprach Beckett über seinen Umgang mit Bildern. Während seines Aufenthalts in Berlin, wo er Godot probte und wo ich ihn auch auf seinen Wunsch mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Akademie der Künste am Hanseatenweg zusammenbrachte, ging er regelmäßig in die Neue Nationalgalerie. Dort blieb er immer wieder lange vor Courbets riesiger, die Augen überflutender »Woge« sitzen. Auf seiner langen Reise, die ihn im Winterhalbjahr 1936/1937 nach Deutschland geführt hatte, besuchte er systematisch zahlreiche Museen zwischen Hamburg, Hildesheim, Braunschweig, Dresden, Kassel, Berlin und München. In die Zeit des Aufenthalts in Dresden fiel eine Begegnung, die er mit einer gewissen Genugtuung schilderte. Giorgiones Dresdner Venus habe in ihm eine Art von Verwirrung hervorgerufen. Seine Reaktion sei gewesen: »Da stimmt was nicht. Da waren zwei Hände im Spiel, da laufen zwei Maler auseinander.« Er sprach darüber mit Will Grohmann, der damals am Museum arbeitete. Dieser konnte ihm den Grund für dieses ambivalente Gefühl benennen. Er zeigte ihm eine Röntgenaufnahme, die einen Aufsatz von Hans Posse im Preußischen Jahrbuch begleitete. Auf ihr konnte man erkennen, dass an diesem Bild zwei »Hände« beteiligt waren, und wie sich herausstellte, handelte es sich um Giorgione und Tizian. Beckett berichtete auch, er habe Grohmann gefragt, warum er in Deutschland bleibe. Er habe geantwortet, dass jetzt, wo alles vorbei sei, Deutschland auf Leute wie ihn angewiesen sei. Der Aufenthalt in Dresden war, so erklärte Beckett, der beste Moment dieser Reise gewesen, auch deshalb, weil er dort in einer Pension eine Reihe von Russen kennengelernt habe, für die ihm in Berlin der Bühnenbildner und Maler Heinz Porep eine Empfehlung mitgegeben hatte.
In den frühen sechziger Jahren sahen wir zusammen mit Roger Blin bei Bernheim-Jeune eine Ausstellung mit Werken von Odilon Redon. Es war diese Mikrowelt, die Beckett gefiel, eine Welt, in der sich der Gegenstand ständig auf der Flucht befindet. Die spurlosen Übergänge von Insekten und Pflanzen zu Trugbildern sprachen für eine Ungenauigkeit der Welt, die ihn beschäftigte. Auf einer ersten Reise nach Stuttgart, 1966 , zeigte sich das Interesse an Bildern und Illustrationen auf konkrete Weise. Beckett lud mich ein, zusammen an einem Abend Roland Hänßel und seine Frau, die Inhaber der Manus-Presse, zu treffen. In deren Verlag war im Jahr zuvor Akt ohne Worte mit Linogravüren von Hans Martin Erhardt erschienen. Dem schloss sich 1968 Kommen und gehen mit Radierungen dieses spannenden Künstlers an. Zur gleichen Zeit schlug ich Beckett vor, mit ihm zusammen Max Ernst zu besuchen. Die Idee einer solchen Begegnung gefiel ihm durchaus, aber er meinte, die Surrealisten hätten doch Joyce gegenüber eher große Vorbehalte zum Ausdruck gebracht: »Sie waren gegen Joyce, deshalb konnte ich nie ernsthafte Beziehungen zum Surrealismus unterhalten. Für mich war diese Bewegung nicht offen genug.« In den Tagebüchern, die von der Deutschlandreise berichten, ist die Rede davon, dass Will Grohmann in Dresden von Max Ernsts Bedeutung für die zeitgenössische Kunst gesprochen hatte, und auch in einem Gespräch mit Edgar Ende in München ist offensichtlich der Name Max Ernst gefallen.
Max Ernst war, das konnte ich Sam berichten, sehr erfreut über dieses geplante Treffen.
Wir verabredeten uns für den 29. September 1966 , kurz nach der Rückkehr Max Ernsts aus seinem Sommerhaus in Seillans, in der Bar des »Pont Royal« und zogen dann in die Rue de Lille. Wir stiegen die Treppe im linken Flügel des Hauses hoch. Große, irgendwie weltbewegende Begegnungen laufen einfach ab. Die beiden Männer begrüßten sich herzlich. Max begann
Weitere Kostenlose Bücher