Mein Glueck
ebenso erfolgreichen und selbstbewussten Denise René, mit Künstlern wie Albers, Vasarely oder Soto, dominierte eine von perzeptuellen Gesetzen abhängige Kunst. Deshalb war mir das, was hier gezeigt und verteidigt wurde, auch zugänglicher als das Informel. Bei Denise – und dies erschien mir beinahe als notwendiger Fehltritt – verkehrte auch Lucio Fontana. Ich erinnere mich an einen eleganten, gesprächsfreudigen Mann, unter dessen Händen Kunst notwendigerweise zu einer Art Kavaliersdelikt werden musste. Man traute ihm ein Florett und einen Fechtsaal eher zu als Pinsel und Atelier. Mich beschäftigte von Anfang an eher die Optical Art, ich entdeckte Vasarely. Er stand damals für die verschüttete Tradition, für Mondrian und den Konstruktivismus der dreißiger Jahre. Er war ein unübersehbarer Künstler, von dessen Einfluss und damaliger Rolle man sich heute keine Vorstellung mehr macht. Selbst der Name Picasso begann neben ihm für viele zu verblassen. Doch einen derartig steilen Absturz vom Gipfel des Ruhms hatte ich zuvor noch nie erlebt.
Als ich ihn kennenlernte, reiste Gott und die Welt zu ihm. Unter anderem auch nach Budapest, wohin ich ihn am 17. Oktober 1969 zu einer großen nationalen Ehrung durch das Geburtsland, einer Retrospektive, begleiten konnte. Dort besuchte ich Alexander Bortnyik, auf den sich Vasarely in Gesprächen bei der Vorarbeit für sein Buch regelmäßig als Lehrer berief. Dieser habe dort das Mühely, eine ungarische Version des Bauhauses, geführt. Das war offensichtlich maßlos übertrieben und von der Suche nach einer noblen, präsentablen Vergangenheit und Legitimität vergoldet. Ich traf einen verbitterten, alten Künstler in einem mittelgroßen Appartement. In diesem düsteren Haus soll Bortnyik seine Schüler unterrichtet haben. Er weigerte sich auch vehement dagegen, als ich ihm vorschlug, ich wolle ein Treffen zwischen ihm und Vasarely organisieren. Offensichtlich fühlte er sich als Opfer des immensen Ruhms seines ehemaligen Schülers.
Aber letztlich war Vasarely von einer unerhörten Großzügigkeit und von einem Enthusiasmus, der sich am stärksten in seiner Vorstellung einer »folklore planétaire« ausdrückte. Es ging um die Erfindung einer kodifizierten plastischen Universalsprache, die den Künstlern, Architekten und Urbanisten dazu dienen sollte, einen bunten Weltstil zu verbreiten. Georges Pompidou und seine Frau Claude verehrten ihn. Für den Präsidenten Pompidou war er eigentlich das Aushängeschild einer Modernität und einer amerikanischen Standardisierung, die er seinem Land und vor allem Paris zu verpassen suchte. Später war ich allein, wenn ich Vasarely im Osten der Hauptstadt, in Annet-sur-Marne besuchte. Kaum jemand kümmerte sich noch um ihn. Zu den Ausnahmen gehörte Klaus Albrecht Schröder, der in Wien eine der letzten Retrospektiven zu Lebzeiten des Künstlers organisierte. Früher lief hinter der arrangierten, blendend-weißen Empirefassade seines bequemen und geräumigen Hauses alles wie am Schnürchen ab. Assistenten fertigten nach Vasarelys Skizzen und Tabellen Bilder an, und Frauen schnitten die »plastischen Einheiten« aus, aus denen Vasarely in den sechziger Jahren seine Arbeiten zusammensetzen ließ. Sein Leben, seine perfekte Zeiteinteilung erschienen mir unübertrefflich. Monat für Monat fertigte er eine bildgroße Tafel an, die er in Tage und Stunden unterteilte. Eine dieser Tafeln, die ihren Dienst getan hatte, überließ er mir als Erinnerung. Jede Besprechung, jede Arbeit war mit verschiedenfarbigen Stiften vermerkt. Es gab nur wiederholt ein Symbol, das ich nicht verstand. Es tauchte wöchentlich meistens einmal am Spätnachmittag auf, zwei Kugeln, die nebeneinander plaziert waren. Ich fragte ihn, was dieses bedeute. Er antwortete, das ließe sich doch leicht erraten. Es seien die Stunden, die er bei einer reizenden Dame verbringe. Hinter dem Haus lag ein weitläufiger, parkähnlicher Garten, an dessen Ende sich das Atelier, ein mächtiger zweigeschossiger Kubus, erhob. Architektur von blendendem Weiß, Park von tiefem Grün, nirgends tauchte eine andere Farbe auf. Farbe existierte nur im Werk. In diesem asketischen Umkreis gewann sie Ausschließlichkeit. Die neutrale Umgebung, die Nichtfarbigkeit erschienen dem Besucher wie der Hunger vor dem Essen. Niemand mehr komme zu ihm, klagte er bei einem letzten Besuch. Diese Jahre seien bedrückend. Ein Mann, dessen einzige Sorge darin bestanden hatte, täglich seine Neuronen mit
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