Mein Glueck
Übungen und Pillen zu trainieren und zu nähren, versank nach und nach in eine Demenz, die so weit ging, dass er mich plötzlich bei Tisch für einen Jugendfreund hielt und auf Ungarisch auf mich einredete. Es war die Zeit, in der seine Stiftungen, die Fondation in Gordes und in Aix, zu verfallen begannen, in der unfeine Berater und Vertraute ihn übers Ohr hauten.
Es ist eine Genugtuung zu sehen, wie die Verachtung, der er mit einem Schlag ausgesetzt war, inzwischen wieder nachlässt. Man kümmert sich endlich wieder um diesen Künstler und bemerkt ein Werk, das mit seinen Entdeckungen und Illusionen nicht nur für die sechziger und siebziger Jahre spricht, sondern heute wieder Anregungen zu vermitteln vermag. Kein Zweifel: Vergessene Künstler und Sensationen, die zu einer bestimmten Zeit alle Welt bewegten, bilden eine großartige Reserve für die Entwicklung der heutigen Kunst. Denkt man an den Kreis der kinetischen Künstler um Denise René und Hans Mayer, an François Morellet, Julio Le Parc, Hugo Demarco, Francisco Sobrino und Yvaral, die sich 1960 in der Groupe de Recherche d’Art Visuel (GRAV) zusammenfanden, so wurden hier neue Technologien und manipulierbare dynamische Effekte entwickelt, auf die die heutige Generation von Entdeckern wie Olafur Eliasson voller Bewunderung zurückgreifen. Ich hatte diese Sehnsucht nach Simultaneität vor Jahrzehnten in der Galerie von Hans Mayer, der damals in Esslingen debütierte, kennengelernt. Zur Eröffnung einer Ausstellung von Demarco sollte ich die Ansprache halten. Die Galerie war dunkel, musste dunkel sein, da die Arbeiten, die gezeigt wurden, auf stroboskopisches Licht angewiesen waren. Ich hatte meinen Redetext auf Papier, ich konnte ihn nicht lesen. Frei sprach ich damals noch kaum. Während ich in dem ohrenbetäubenden Lärm etwas stammelte, spielte ein Orchester, und eine Tanzgruppe trat auf. Dies alles hätte auch einem Dada-Abend in Zürich zur Ehre gereicht. Nicht von ungefähr besetzte die Galerie ein ehemaliges Sarglager. Die Feste dort sorgten dafür, dass die Toten erwachten und die Missmutigen keine Ruhe fanden.
Auch Josef Albers, dem ich wie Vasarely bereits nach dem ersten Besuch ein Buch widmete, hat mich in den sechziger Jahren überaus beeindruckt. Schnell freundeten wir uns an. Häufig kam ich zu ihm nach New Haven und später nach Orange in Connecticut. Die Fahrt von der New Yorker Central Station dauerte ziemlich lange. An einer Stelle bremste der Zug, er fuhr über einen Friedhof. Überall im Lande herrschte das Albers-Weiß: Und der Künstler selber bewohnte ein weißes Haus im Cape-Cod-Stil, nach der Halbinsel südlich von Boston benannt, wo diese bequemen Häuser Neuenglands erstmals auftauchten. Alles, was ich hier beobachten konnte, schien objektiv zu seiner Welt zu gehören. Albers’ Bilder und Zeichnungen boten sich als Vorgaben für eine Kunst an, die sich in ihre Bestandteile zerlegen lässt. Das Material und die subjektive Handschrift treten restlos hinter das Werk zurück. Viele Wirkungen ließen sich beschreiben, begründen und formal definieren. Doch dann begann man zu spüren, dass es in diesem scheinbar so konkreten Konstrukt letztlich nicht um Sicherheiten ging. Nichts machte mir dies auf eindrucksvollere Weise klar als Albers’ eigene Unsicherheit. Den meisten galt er als pedantischer Lehrmeister und als visueller Pauker. Sein Gesicht wirkte noch so energisch wie auf den Fotos, die aus der Bauhaus-Zeit stammen. Ein eindrucksvoller, mächtiger Kopf, im Grunde ein Dickschädel. Ich traf auf einen überaus sinnlichen Menschen und amüsierte mich, wenn er mehr den Körper als den Kopf einer jungen Journalistin oder Konservatorin mit Augen und Händen von seinen Gewissheiten zu überzeugen suchte. Dabei war er, bei allen radikalen und harten Urteilen gegenüber anderen Malern, alles andere als ein Vertreter einer allein »optischen Kunst«. Er mokierte sich sogar über den Begriff »optical art« und meinte, dass wir in dem, was wir »optische Kunst« nennen, doch letztlich das Optische übersehen würden, so wie wir in der Musik das Akustische überhörten. Darüber sprachen wir stundenlang, und dazu schrieb er mir lange, überaus genaue Briefe. Mit aller Schärfe verwies er am 18. Oktober 1969 auf die Qualitäten, durch die er sich von all dem unterscheiden wollte, was damals im Bereich von Op Art und Neokonstruktivismus angeboten wurde. Und er resümierte: »Anders: obschon ich fast 30 Jahre Kunst gelehrt habe, habe ich
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