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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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Spannungsfeld. Hunderte Versionen bietet er an. Dabei greift er nur zu wenigen Schemata. Entweder sind die Bilder drei- oder vierfarbig. Das Ineinanderstaffeln von drei oder vier Quadraten erinnert an graphische Vorübungen im Werk und an Übungen, die Albers im Bauhaus-Vorkurs mit Fotobalgen entwickelt hatte. Einmal scheint die kleine Mittelform aus dem Karree hervorzutreten, einmal scheint sie sich in die Tiefe des Bildes zurückzuziehen. Dieses Vor- und Zurücktreten, von dem das plastische Sehen der sich wechselseitig überstrahlenden Farbzonen abhängt, wird von der Beleuchtung modifiziert. Bleibt bei gutem Tageslicht eine blaue Zone dunkel und tief im Bildrahmen versenkt und strahlt eine rote Zone plastisch hervor, so verkehrt sich dies bei abnehmendem Licht ins Gegenteil: Das Rot verliert an Helligkeit, das Blau nimmt an Leuchtkraft zu. Je mehr wir uns mit diesen Erscheinungen beschäftigen, umso deutlicher wird uns, dass Albers nur eines unterstreichen möchte: »Farbe ist, wegen ihrer so hohen Beweglichkeit, das relative Mittel der Kunst.« Man könnte meinen, es ginge Albers darum, dem Betrachter das naive Vertrauen in seine Sehfähigkeit und in seine Selbstgewissheit zu nehmen. Denn hinter der Einfachheit, zu der Albers greift, verbirgt sich eine geniale List. Das Auge bildet immer neue Farballianzen. Und ich erlebte mit und verstand, dass Albers auf nichts stolzer war als auf das Paradox, von dem mir der genaue Beobachter Henri Cartier-Bresson nach seiner Beschäftigung mit den farbigen Quadraten erzählte. Er sprach von den »Hommage to the square«-Bildern als »kreisförmigen Quadraten«. In der Tat, die Wiederholung der Form Quadrat schleift das scheinbar Allbekannte bis zur Fremdheit um. Sie sorgt dafür, dass das Quadrat seinen primären, erkennbaren Charakter verliert. In späteren Jahren blieb Albers ausschließlich bei diesem Schema und meinte auf die Frage, warum er nicht auch wie früher andere Themen heranziehe und variiere: »Wollte jemand David Oistrach auffordern, er möge die Violine gegen ein Waldhorn eintauschen?« Für Albers, der gegen die Maler des »hard edge« unaufhörlich und vehement Position ergriff, ist die Behauptung einer geometrischen Begrenzung in den Bildern nichts anderes als Diffamierung des Sehens. Dem stellte er »flimmernde Trennlinien« entgegen. Die Farben, die dank ihrer Fähigkeit zur Interaktion, zu wechselseitiger Überstrahlung, auf dem Plateau Quadrat in einen gasförmigen Aggregationszustand überzutreten scheinen, weisen die Vorstellung von Begrenzung, von gerader Linie und rechtem Winkel, zurück.
    Letztlich begegnete ich in Albers einem zerrissenen Menschen, dessen optischer Irrationalismus mit der Aussage surrealistischer Bilder in Verbindung zu bringen war. Die Abende waren für mich lang, denn nach dem frühen Nachtessen fuhren mich beide zu einem nahe gelegenen Motel. Vorher gab es noch Gespräche, in denen Erinnerungen an die Bauhaus-Zeit wach wurden, an die tiefe Freundschaft mit Klee und Kandinsky und an die Rivalität zwischen Albers und Moholy-Nagy, über den kein einziges gutes Wort fiel. Letztlich stand keiner dem Bauhaus so kritisch gegenüber wie Albers, wobei sich seine Kritik besonders von der heutigen Sicht auf den Kunstbetrieb aus gut nachvollziehen lässt. Er hielt nichts vom retrospektiven Jubel und von Gedächtnisausstellungen. Er spottete gerne über den retrospektiven Ruhm, der sich an so manche eigentlich mittelmäßige Bauhäusler wie Altersspeck ansetzt. Und er setzte verbittert hinzu: »Warum mein Verhältnis zum Bauhaus aggressiv ist, fragen Sie. Ich war länger als irgendjemand dort tätig. Ich habe mehr Stunden unterrichtet als die anderen. Trotzdem hat man immer die anderen hochgehoben. Moholy-Nagy beansprucht die Einführung der Papierkonstruktionen. Das stimmt nicht. Ich war es. Als Moholy ein Jahr nach seinem Weggang vom Bauhaus sein ›Buch vom Material zum Stil‹ veröffentlichte, sagte Klee im Atelier Kandinskys zu mir: ›Wie kommt der dazu, Ihre Arbeit zu veröffentlichen?‹«
    Fotos aus dieser Zeit zeigten etwas von der Heiterkeit der Gemeinschaft der Bauhäusler, und Josef Albers schien zu den witzigsten Unterhaltern der Gruppe gehört zu haben. Daran erinnerte auch Nina Kandinsky gerührt und mit Freude in ihrer Wohnung in Neuilly, als wir an ihrem runden Tisch aus dem Bauhaus-Zimmer zusammen ihren selbst gekochten Bœuf Stroganoff aßen. Einmal beim Abendessen mit dem deutschen Botschafter Sigismund von Braun,

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