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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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am Ende entdeckt, dass ich nicht Kunst gelehrt habe, sondern Psychologie, Philosophie über – Formung. Dass ich nicht Malen gelehrt habe, sondern Sehen, und nicht Design, sondern strukturale Organisation. Anstatt zu zeigen, wie was zu machen, zu erkennen ist, was das meint, was man macht … für andere.« Sicher, er konnte Auffassungen vertreten, die mich schockierten. So wenn er gegen Beckmann wütete und meinte, nichts sei primitiver als die laute Wirkung, die dieser mit der schwarzen Konturierung seiner Szenen zu erreichen suche. Und nichts war ihm verhasster als alles, was nur einen Hauch von Duchamp oder von Pop enthielt. Letztlich ging es ihm, was das eigene Werk betraf, um die Feststellung, dass es nichts Unsichereres und Ungewisseres als das Auge gebe. Dies vermittelte er mit einer absolut sokratischen Passion, und er versuchte nachzuweisen, dass sich das Auge ständig irrte, dass sich, ausgehend von dem mit dem Auge Wahrgenommenen, nichts mit letzter Gewissheit behaupten ließe. Sein Fazit zeigt eine überraschende Toleranz, wenn er etwa feststellte: »Keine Entscheidung zu treffen kann auch als wichtige Antwort zählen und sicher als positive Haltung.«
    Sein umfangreiches, berühmtes Werk Interaction of Color will deshalb auch alles andere als eine Farbenlehre sein. Es ist ein Versuch, durch die Methode »Trial and Error« zur Vorsicht zu erziehen und das Urteil zu schärfen. Dazu meint er: »Um Farbe mit Erfolg anzuwenden, muss man erkunden, dass Farbe fortwährend täuscht.« Dahinter steckte unübersehbar auch ein moralischer Ansporn, alles zu tun, um einer jüngeren Generation die Verführungen einer Ideologie zu ersparen, deren Opfer er und seine Frau Anni im Nazideutschland geworden waren. Was er in seinem Werk realisierte, was er – auch als außerordentlicher Pädagoge seiner Zeit – im Black Mountain College und in Yale vermittelte, war Ausdruck einer Ethik, an der er immer festgehalten hat. Denn Albers fand sich nie mit dem Anspruch autonomer Kunst ab. Er konnte auch im hohen Alter das Dozieren nicht unterlassen. Bei jedem Besuch unterzog er mich einer Lehrstunde. Nach dem Mittagessen, von dem wir jeweils mit einem durchsichtigen Doggybag für das Abendessen ins helle, mit Schindeln verkleidete Haus zurückkamen, zogen er und Anni sich zu einem Schläfchen zurück. Jedes Mal hängte er ein anderes Bild an eine Wand im Salon und wies mich an, in einem Sessel davor zu sitzen. Es gab nichts zu lesen, keine Revue, keine Zeitung. Dieses Experiment konnte bis zu zwei Stunden dauern. Dann erst weckte Annis Ruf »Jupp, Jupp« den Künstler, der mir das Schloss zu meiner Einzelzelle wieder öffnete.
    Ich sollte in diesem Selbstversuch die Unsicherheit des Sehens kennenlernen, erleben, wie die Farben in den »Hommage to the square«-Bildern nach und nach ungewisser wurden. Das kam mir zuerst als öde Strafarbeit vor. Doch bald fand ich diese Übung aufregend, ja unterhaltsam. Wir machen Bekanntschaft mit einem Bild, prägen es uns ein, besitzen es im Akt des Sehens und finden es, nach einem Wimperschlag, schon wieder als Neues, Fremdes wieder. Ich spürte nicht zuletzt den Graben zwischen Konstruktivismus und einer Kunst, die die unerbittlichen Gesetze der Perzeption und der optischen Täuschung verarbeitete. Denn sobald die Struktur zu offen wird, nähern wir uns konstruktivistischen Kompositionen. Von Optical Art zu reden hat nur dann einen Sinn, wenn wir ein bestimmtes Sehen isolieren, das nicht aus dem Werk entlassen wird. Es geht um das thematisierte Sehen, das keine Ablenkung zulässt, eines, das auch nicht in Interpretation abrutscht. In diesem Zusammenhang ist der letzte Film Clouzots, »La prisonnière«, interessant, der eine gegenständliche Deutung der aggressiven Bildmuster von Bridget Riley, Morellet, Anuskiewicz, Gerstner oder Tomasello anbietet. Die erotische Obsession des Films wird durch das Milieu, in dem dieser spielt, unterstrichen. Elizabeth Wiener verfällt einem teuflischen impotenten Kunsthändler, den Laurent Terzieff spielt: Dem starren Blick des Voyeurs entspricht die zwanghafte Disziplinierung des Sehens durch die Werke der Op-Art-Künstler, die ein Äquivalent sexueller Gefangenschaft darstellen.
    An all dies konnte ich vor meiner Wand mit dem Bild im Wohnzimmer denken. War es Selbstsuggestion, wenn dieses konzentrierte Sehen nach und nach das Quadrat als spezifische geometrische Form zum Verschwinden brachte? Albers verwandelte das Quadrat zu einem physisch-psychischen

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