Mein Glueck
distanzierte sich rabiat von dieser Veranstaltung und kündigte an, im Herbst selbst seine Sicht auf die Bewegung vorzuführen. Immerhin hatte ich erstmals die Gelegenheit, einen Blick auf die verbotenen Früchte von Max Ernst zu werfen. Und in einem Artikel notierte ich: »Am besten schneidet wohl Max Ernst ab, der mit einigen wichtigen Werken vertreten ist, so mit ›Das Vogeldenkmal‹ und ›Die ganze Stadt‹. Hier taucht der Surrealismus nicht als ikonographisches Element auf, als eine Verzerrung, Entwirklichung, sondern als Bangigkeit, als Raum, der die Dinge anhält, sie zum Stocken bringt, eine unerträgliche Spannung schafft.«
Beinahe hätte ich Max Ernst 1965 , ein Jahr bevor es zur ersten Begegnung kam, in der Galerie Le Point Cardinal angesprochen. Ich stand vor einem Bild, das mir etwas Ungesehenes zeigte, »Die Versuchung des heiligen Antonius«. Damals war diese traumatische Szene, mit der Max Ernst einen von Hollywood ausgelobten Wettbewerb gewonnen hatte, noch zu kaufen. Das Bild tauchte in der Schlussszene von Albert Lewins Schwarz-Weiß-Film »The Private Affairs of Bel Ami« mit George Sanders in der Hauptrolle als einziger farbiger Gegenstand auf. Die Vorsitzenden der Jury waren Marcel Duchamp und Alfred H. Barr. Inzwischen hängt es im Lehmbruck-Museum in Duisburg. Plötzlich erinnerte ich mich wieder an das Rätselbild, das mich als Kind erschüttert hatte, »Die Heilige Cäcilie«. Gebannt ging ich in der detailreichen, von Überraschung zu Überraschung führenden Leinwand spazieren. Plötzlich öffnete sich neben dem Bild eine Tür, aus der Max Ernst trat. Er schaute mich mit seinen fabelhaften blauen Augen an, amüsiert darüber, dass sich jemand offensichtlich von diesem Gemälde packen ließ. Doch ich hielt an mich und sagte nichts – im Hinterkopf war die Aufforderung meines Mentors, ich solle mich von dieser Kunst ja nicht irreführen lassen, immer noch wirksam. Trotzdem wurde »Die Versuchung des heiligen Antonius« eine Versuchung, die ich persönlich nahm. Ich widerstand ihr, aber nur ein Jahr. Dann war es so weit, dass ich Max Ernst treffen konnte.
Karl Korn, der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung , für die ich ab 1964 regelmäßig zu arbeiten begann, fragte bei mir Anfang 1965 an, ob ich nicht zum bevorstehenden fünfundsiebzigsten Geburtstag einen Artikel schreiben könnte. Ich besorgte mir die Telefonnummer seiner Wohnung im Haus 19, rue de Lille. Eine männliche Stimme meldete sich und fragte nach meinem Begehr. Ich antwortete, ich wolle gerne Monsieur Ernst sprechen. Nach kurzer Zeit meldete sich dieser und erkundigte sich kurz angebunden nach meinem Anliegen. Ich erklärte, dass ich vorhabe, zu seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag einen Artikel zu schreiben. Die Antwort fiel sehr einsilbig aus: »Nein danke, das interessiert mich nicht.« Ich gab nicht auf, sondern fügte voller Stolz auf meinen Auftraggeber hinzu: »Aber für die Frankfurter Allgemeine Zeitung .« Die Replik war unvergesslich und tödlich: »Das interessiert mich noch viel weniger.« Doch dann stimmte Max Ernst einen anderen Ton an und meinte, er könne mich auch deshalb jetzt nicht sehen, weil er eben dabei sei, in sein Landhaus im Süden, nach Seillans, zu reisen. Und er fügte hinzu – und das war absolut unerwartet und auf unglaublich liebenswürdige Weise formuliert –, ich dürfe ihn natürlich dort jederzeit besuchen. Er würde sich freuen. Er kannte mich damals noch nicht und bereits zwei, drei Tage später meldete ich mich unter der Telefonnummer, die er mir gegeben hatte, damals ein schwieriges Unterfangen. Man musste über eine Schaltzentrale in Draguignan gehen, die dann das Gespräch per Hand vermittelte. Er schlug mir ein nahes Datum vor. Ich reiste am Vorabend an und ging in ein kleines Hotel vor Ort. Es dunkelte früh. Die Berge warfen tiefe Schatten. Zwischen den Bergdörfern Fayence, wo die nach Georges Grosz spitzeste und nervöseste Feder, Ronald Searle, lebte, und Seillans kreisten während der Fahrt riesige, bedrohliche schwarze Vögel. Nachdem ich ein kleines Hotel bezogen hatte, ging ich in dem malerischen Ort spazieren und fand sein dreistöckiges weißes Haus, das, wie eine ausgebleichte Inschrift zeigte, einmal »Dolce Vita« hieß.
Wie sollte ich den langen Abend überstehen? Ich machte der Patronne ein Kompliment und sagte ihr, dass sie doch sicherlich wunderbar koche und dass ich mich außerordentlich auf ein großes Abendessen freuen würde. Später sah
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