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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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ich, wie die Frau mit einem Einkaufskorb durch das Dorf hastete. Ich war der einzige Gast im Restaurant, und ich muss sagen, das Essen war außerordentlich. Die ganze Familie saß einige Tische weiter und schaute mir zu. Alle schienen glücklich zu sein. Sie tranken schließlich Champagner, und ich sah, wie sie einem Säugling, den die Tochter auf dem Arm trug, davon einige Tropfen einflößten. Ich konnte den Morgen kaum erwarten. Für 10 Uhr hatte ich mich angemeldet. Ich ging einen abschüssigen, gepflasterten Weg hinauf und fand mich vor einem über drei Meter hohen hölzernen Pfahl, der von einem Versammlungshaus der Kwakiutl aus British Kolumbien stammte. Max Ernst hatte ihn, wie ich bald erfuhr, 1942 während eines Aufenthalts mit Breton und Lévi-Strauss in New York Julius Carlebach abgekauft, der in seinem Laden für Antiques and Art Objects an der Third Avenue Arbeiten anbot, die er von einem Konservator des Museum of the American Indian aus dem Bestand der Heye-Foundation erhalten hatte. Die eindrucksvolle, apotropäische Skulptur, die eine mythische Menschenfresserin darstellte, war so riesig, dass sie, vor dem Hauseingang liegend, präsentiert werden musste. Ihr Besitzer machte sie zu Beginn der siebziger Jahre dem Pariser Musée de l’Homme zum Geschenk.

Die Begegnung meines Lebens – Max Ernst

Ich klingelte, Groucho schlug an, Max Ernst öffnete, grüßte und umarmte mich, als hätten wir uns immer schon gekannt. Alles war plötzlich einfach, von einer verwirrenden Einfachheit. Als ich ihm auf seine Frage nach meiner Reise berichtete, dass ich bereits am Tag zuvor angekommen sei, machte er mir zum Vorwurf, dass ich mich nicht sofort gemeldet hätte. Ich trat bei Max Ernst ein, ich betrat ein Leben, das mich in seinem demütigen Stolz, seiner Unabhängigkeit sofort packte. Sofort bemerkte ich, dass er nichts hinnahm, ohne es zu hinterfragen. So war es kaum verwunderlich, dass auch ich mich durch seine physische Erscheinung dazu aufgefordert fühlte, Rückschlüsse auf seine Person zu ziehen. Wendet er sich dem Betrachter direkt zu, dann sieht dieser sein kluges, sensibles Gesicht, mit dem offenen, manchmal sich mokierenden Lächeln und seinen blauen Augen – einem transluziden Blau, das einer gerade im Ofen ausgeglühten keramischen Lasur gleicht. Max Ernst en face ist der Denker, der Spötter, der aggressive, unruhige Geist. Sobald er sein Gesicht abkehrt, ändert sich der Ausdruck. Das Profil wird zu einem Teil des Werks, zum Vogelprofil, das in allen Phasen die Bilder, Frottagen und Collagen Max Ernsts durchgeistert. Aber es ist nicht nur diese Übereinstimmung von Motiv und Selbstbildnis des Malers, bei der man sich fragen kann, ob sich das Motiv der Physiognomie oder die Physiognomie dem Motiv angenähert habe, sondern das Vogelprofil wird Symbol für einen Wesenszug des Künstlers selbst, für die instinktive Sicherheit, mit der er sich immer wieder mit seiner eigenen Arbeit auseinandersetzt, und für den Dialog mit einer Wirklichkeit, die mit den herkömmlichen Mitteln der Malerei und Sprache nicht erfasst werden kann. Dieser starre, unwandelbare Zug im Wesen und im Werk Max Ernsts findet sich in einem Bereich, in dem Starre und Unwandelbarkeit eigentlich ausgeschlossen scheinen, im Wunderbezirk der Welt, den er in einem Bild »mundus est fabula« benannt hat.
    Max Ernst war die Begegnung meines Lebens. Es war eine sehr innige und tiefe Freundschaft mit einem der größten Geister des zwanzigsten Jahrhunderts, einem der poetischsten und auch intellektuell tiefsten Menschen, die man treffen konnte. Er hatte eine Einfachheit, aber auch einen gewissen Stolz, eine Unabhängigkeit von der Gesellschaft und vom Erfolg. Seine fast blinde Sicherheit im Umgang mit politischen und sozialen Situationen war einzigartig. Das äußerte sich manchmal auch in der Verachtung, die er manchen Zeitgenossen gegenüber zeigte. Mit Dalís Sympathie für Franco und den Faschismus fand er sich nie ab. Eines Tages habe er ihn in New York in der Nähe des St. Regis, wo Dalí und Gala abzusteigen pflegten, auf der Straße getroffen. Dalí habe ihm die Hand entgegengestreckt. Max Ernst weigerte sich, diese zu ergreifen, und habe deutlich seinen Widerwillen geäußert. Dalí bat Max, ihm doch wenigstens provisorisch die Hand zu geben, gewissermaßen für sein zukünftiges Verhalten. Doch er habe auch dies abgelehnt. Und Peter Schamoni beobachtete in den frühen sechziger Jahren in der Galerie Charpentier, für die Breton

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